Brüssel hat vorgemacht, wie weit es der IS dabei gebracht hat, unseren Alltag zu verändern. Europa ergeht sich derweil in Scheingefechten, Scheinbeschlüssen, Scheinmaßnahmen und Lichterkettenromantik.
Von Axel Retz
Die IS-Terroristen, so hörte ich es in den letzten Tagen bis zum Abwinken, wollen uns unsere freie Art zu leben nehmen, weswegen es besonders wichtig sei, Flagge zu zeigen und damit unter Beweis zu stellen, dass sich „Freiheit und Demokratie“ nicht dem Terror beugen werden. Brüssel heute?
Dieser Witz ist wirklich dermaßen schlecht, dass er auch durch ständiges Wiederholen nicht besser wird.
Am 25. Oktober 2001, also sechs Wochen nach den Anschlägen vom 11. September, verabschiedete der US-Kongress den mittlerweile durch den am 2. Juni d. J. verabschiedeten „USA Freedom Act“ ersetzten „USA PATRIOT ACT“.
Wer daran zweifelt, dass man diesen Gesetzestext in sechs Wochen zustande bringen konnte und dass er somit schon lange vor den Anschlägen auf die Twin Towers ausgearbeitet worden sein muss, den verweise ich auf zahlreiche Informationen zum Thema im Internet. Oder, um es „evident“ zu machen, einfach einmal auf den Gesetzestext selbst: thomas.loc.gov:.
Was auch immer man aus diesem ganz offenbar von sehr langer Hand vorbereiteten Gesetz schließen mag (die Mühlen der Justiz arbeiten bekanntermaßen besonders langsam), überlasse ich Ihrem persönlichen Urteilsvermögen.
Unbestreitbar ist hingegen: Wenn es das Ziel der Terroristen (oder eben ganz anderer) gewesen sein sollte, unser sgn. Leben in Freiheit einzuschränken, dann ist ihnen das mit Bravour gelungen! Niemals zuvor gab es auf diesem Globus eine dermaßen flächendeckende Überwachung fast jeder menschlichen Lebensäußerung, die nicht Auge in Auge erfolgt.
Das alles inkl. der von unseren eigenen Geheimdiensten mit verbrochenen Angriffe auf unser aller Freiheit wird perfiderweise so gut wie immer damit begründet, genau sie verteidigen zu wollen. Immer mehr Video- Überwachung, immer mehr Kontrolle dessen, was wir wo auch immer schreiben oder sagen und was wir im Netz suchen, immer mehr Angst der Menschen, ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrzunehmen. In der DDR, so schrieb mir ein Leser in der letzten Woche, nannte man das „die Schere im Kopf“.
Der „internationale Terrorismus“ hat unsere freie Art zu leben bis ins Mark verändert.
Politisch „inkorrekte „Tatort“-Sendungen werden verschoben, Fußballspiele abgesagt, der U-Bahnverkehr (wie in Brüssel) eingestellt usw. Ob sich jemand nun zweimal überlegt, ob er zu einem Fußballspiel oder einem Konzert geht oder einen großen Weihnachtsmarkt besucht, das sind eher Randerscheinungen der eingeschränkten Freiheit. Sich aber nicht mehr zu trauen, politische Fehlentwicklungen, Vertrags- und Gesetzesbrüche etc. beim Namen zu nennen, das ist Selbstzensur. Und die Anzahl derer, die sich dieser Entwicklung zu entziehen vermögen, ist keine sonderlich große.
IS und Flüchtlinge: Einmal ein paar Daten
Kilometerlange Öl-Laster-Konvois hatte die russische Luftwaffe unlängst ausgemacht, die sich frei im Land bewegen, angeblich begleitet durch US-Apache-Kampfhubschrauber.
Dass der von seinen eigenen Werten geradezu berauschte Westen einer der Hauptabnehmer des vom IS am Weltmarkt unter Preis verkauften Rohöls ist, hatte ich bereits in der vergangenen Woche angesprochen. Zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen (oder auch noch ein paar mehr als in „Sieben auf einen Streich“), ist hübsch.
Man kauft ultra-billiges Öl und verkauft im Gegenzug Waffen, Fahrzeuge und modernste Technologie, was das Zeugs hält. Es geht dabei nicht um Millionen, sondern um Milliarden Dollars.
Die Win-Win-Situation für den Westen - billiges Öl und sprudelnde Gewinne aus Waffenexporten - lassen sich nur mit den Worten skandalös und pervers beschreiben. Unsere in all den schönen Reden immer wieder betonten „Werte“, wo sind sie denn da? Und wo sind sie, wenn Politik und Medien wie von wunderbarer(?) Hand gelenkt jubelnd wieder das Schwarzweißdenken des Kalten Krieges aufwärmen anstatt einmal dieser wunderbaren Hand selbst auf die Finger zu klopfen?
Wie das bayerische Innenministerium am Mittwoch verlautbaren ließ, rechnet man dort mittlerweile für dieses Jahr nicht mit 1,5 Millionen geschweige denn den „offiziell“ angegebenen 800.000 Zuwanderern, sondern mit bis zu zwei Millionen Menschen.
Dass man Flüchtlinge und Terroristen nicht in einen Topf werfen darf, dass muss die Politik wohl nur den ganz Einfältigen erklären. Aber sie kommt auch nicht umhin zuzugeben, dass sich unter den unkontrolliert einwandernden Menschen eine unbekannte Anzahl fanatischer Gewalttäter verbirgt, die den ja wiederholt angekündigten Plan verfolgen, den Terror nach Europa und eben Deutschland zu bringen.
Solange sich die Verantwortlichen Schulter zuckend ihrer Pflicht entziehen, hier die Spreu vom Weizen zu trennen, müssen sie sich doch nicht wundern, dass die Sorge der Bürger berechtigterweise immer größer wird.
Ganz zu Recht - und ziemlich spät - hat der französische Premier Manuel Valls am Donnerstag darauf hingewiesen, dass sich die Sicherheitsbehörden auch mit dem Risiko biologischer oder chemischer Angriffe auseinandersetzen sollten. Und m. E. sollten sie vor allem nicht den Luftraum außer Acht lassen. Schwebt bei einem Fußballspiel eine Drohne oder ein Modellflugzeug über die Zuschauerränge, um plötzlich ein Kilo Weizenmehl freizusetzen, kann man sich vorstellen, welche Panik ausbräche. Und das ist nur eines von vielen hässlichen Beispielen, die mir spontan einfallen.
Polen hat nach den Anschlägen von Paris beschlossen, sich von der zugesagten Aufnahme eines Kontingents an Flüchtlingen zu verabschieden. Um seine eigene Bevölkerung zu schützen, wie es hieß. Dänemark handhabt es ähnlich, Ungarn natürlich auch. Und die USA, die zusammen mit Saudi-Arabien und Katar als die Ziehväter von Al-Qaida und IS zu gelten haben?
Saudi-Arabien verfügt über 100.000 „High-Tech“-Zelte, will aber keinen einzigen syrischen Flüchtling aufnehmen, da es um die Sicherheit und Stabilität des Landes fürchtet.
Und die USA? Präsident Obama hatte geplant, in dem kommenden zwölf Monaten 10.000 Flüchtlinge in den USA aufzunehmen - also in etwa die Zahl, die tagtäglich nach Deutschland strömt. Mindestens 27 der 50 US-Bundesstaaten haben sich jedoch bereits gegen diesen Plan ausgesprochen. Robert Bentley, der Gouverneur Alabamas, twitterte dazu: „Ich mache mich nicht zum Komplizen einer Politik, die die Einwohner von Alabama in Gefahr bringt.“
Andere Staaten scheinen ja spätestens seit der durch die Anschläge von Paris bewiesene Gefahr, dass sich unter den Migranten auch anschlagsbereite Terroristen befinden, die Bedrohungsszenarien völlig anders einzuschätzen als etwa die Bundeskanzlerin. Hannover hätte sie am vergangenen Mittwoch eines Besseren belehren können.
Dass Europa mit mehr Anschlägen wie in Paris rechnen muss, liegt auf der Hand. Aus sehr einfachen Gründen. Die potentiellen Attentäter sind bestens vernetzt und den Sicherheitsbehörden technisch zumindest ebenbürtig.
Die Organisation der Exekutive gibt eher Grund zur Sorge. In Brüssel, dessen Stadtteil Molenbeek es mittlerweile zu trauriger Berühmtheit brachte, gibt es beispielsweise sechs verschiedene Polizeibehörden, die eher gegen- als miteinander arbeiten. Bei der Aufklärung des NSU-Terrors gab die BRD keinesfalls ein besseres Bild ab. Und beim Flüchtlingsthema herrscht zweifellos das administratrive Chaos pur - ohne den selbstlosen Einsatz Zehntausender privater Helfer wäre hier längst schon Schicht im Schacht.