Beim RBB heute eine Doku über Opfer eines Schicksalschlages: Zur falschen Zeit am falschen Ort. Michael Mross schildert seine Erfahrungen zusammen mit anderen Opfern, z.B. jenen vom Attentat in Nizza.
Michael Mross, Januar 2017, (Foto Wolf Lux, BZ)
Von Michael Mross
Dass ich Ihnen diese Zeilen schreibe , grenzt an ein Wunder. Am 6.3.2016 wurde ich von einem Auto zertrümmert. Ort: eine kaum befahrene Straße im Süden Sri Lankas. Palmen, Meer, kein Verkehr. Mehr noch: Ich saß nicht auf der Straße sondern im Vorgarten eines Hauses, wo Fruchtsäfte angeboten wurden.
Ich wollte dort gar nicht verweilen, aber der Besitzer bot mir einen Stuhl an. 35 Grad, Nachmittag, 17 Uhr. Ich setze mich. Während er mich in ein Gespräch verwickelte, schaute ich zufällig nach rechts.
Ich sah ein Auto vom Strand aus kommend, 200m entfernt. Mein letzter Gedanke: Er muss ja bremsen, kann ja nur nach rechts oder links fahren. Danach war schwarz.
Als ich wieder aufwachte, dachte ich, ich bin in einem Horrorfilm, einem Alptraum. Ich sah an meinem rechten Arm Knochen herausragen, die Hand fehlte. Hautfetzen hingen wie an einer geschälten Banane herunter. In einer Ecke Stand mein Bein. Um mich herum Menschen im weißen Kittel.
Unendliche Schmerzen, unendlicher Wahnsinn, Todesangst, unendliche Hoffnungslosigkeit.
Ein Fischer hatte meinen Körper und die abgetrennten Körperteile mit einem Tuck-Tuck (dreirädiges offenes asiatisches "Taxi") in ein Provinzkrankenhaus gefahren. Krankenwagen gibt es dort nicht. Doch das Hospital konnte nichts machen, außer Blut spenden. Weitertransport nach Colombo, Hauptstadt.
Das rechte Bein war weg, das linke gebrochen, Rücken an zwei Stellen angebrochen, Rippen gebrochen, Brustbein gebrochen, großflächige gravierende Hautverletzungen, literweise Blut verloren, Wunden maximal kontaminiert mit ceylonesischem Straßendreck.
Intensivstation, Höllenqualen, ich erspare die Details. Am Tag 5 organisierten Freunde den Rücktransport im Privatjet. Aber um ehrlich zu sein: daran habe ich nicht mehr geglaubt. Ich dachte, dass ich elendig verrecke.
Fast tot und halb verfault bin ich schließlich in Berlin angekommen. Von dem 15-Stunden-Flug (2 Zwischenlandungen zum Auftanken) habe ich nichts mehr mitbekommen. Aufgewacht bin ich auf der Intensivstation im Unfallkrankenhaus Berlin. Es folgten 20 weitere Operationen und zwei Monate Krankenhaus.
Ich lag ca. 4 Wochen nur auf dem Rücken, wie ein kaputter Käfer. Meine Muskeln hatten sich komplett aufgelöst. Auch danach war ich völlig bewegungsunfähig. Aber deutsche Arztkunst hat mir das Leben gerettet. Dafür bin ich dankbar.
Mittlerweile geht es wieder aufwärts. Ich kämpfe jeden Tag. Einige Stunden bin ich nun in einer Beinprothese. Das ist jedoch nicht einfach. Wieder halbwegs gehen zu können, dauert - hatte ich mir auch anders vorgestellt. Auf eine Armprothese verzichte ich derzeit, ich kann mich nur auf eine Sache konzentrieren. Das Bein ist das Wichtigste.
Ein Attentat?
... dachte ich zunächst auch. Zu unwahrscheinlich, an einem solchen Ort von einem Auto zertrümmert zu werden. Aber die Nachforschungen konnten dies nicht bestätigen. Der Fahrer des Autos war angeblich betrunken...
Schadenersatz, Schmerzensgeld? Null.
Es ist praktisch unmöglich, eine gegnerische Versicherung in der Dritten Welt haftbar zu machen. Sie arbeiten mit allen Tricks. Ich sitze also in meinem Rollstuhl alleine da. Ärzte und Experten sagen mir, dass dies bei Unfällen in den USA, aber auch im europäischen Ausland ähnlich sei. Haftpflichtforderungen sind praktisch aussichtslos, auch wenn man noch so teure Anwälte einsetzt.
Zur falschen Zeit am falschen Ort
Abgrundtiefes Pech. Im Krankenhaus habe ich andere Fälle kennen gelernt. Der Zufall kennt keine Gnade. Er nimmt keine Rücksicht. Kinder, Familien. Jeden kann es treffen. Ein Unglück, das in einem Leben alles verändert.
Am meisten quält die Frage: "Warum gerade ich?"
Niemand kann sich schützen. Das Unglück ist nicht kalkulierbar. Wenn es passiert, fällt man erst mal in ein tiefes schwarzes Loch.
Nizza, Berlin
In der RBB Dokumentation kommt u.a. auch eine junge Frau (19) zu Wort. Sie hat das Leben noch vor sich. Wurde in Nizza vom Terror-LKW überrollt.
Eine Bekannte von mir war am 19. Dezember auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin. Auch sie wurde von dem Todes-LKW erfasst. Beide Beine in Gefahr.
Niemand kann besser nachfühlen, was in diesen Menschen vorgeht, als ich oder Leidensgenossen. Es ist die härteste Prüfung, die Schicksal einem auferlegen kann. Und sie ist alternativlos: entweder aufgeben oder weiterleben, nach vorne blicken.
Dazu braucht man allerdings fast übermenschliche Kräfte. Mögen alle, die solche dunklen Stunden des Abgrunds erleben, nicht aufgeben!
Ich wünsche insbesondere jenen, die nicht in der Gunst der Öffentlichkeit stehen, Mut und Kraft, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Ich weiß, wie schwierig das ist. Aber wenn mein Schicksal vielleicht überhaupt einen Sinn hatte, dann vielleicht der, anderen Menschen in solchen Situationen Mut zu machen: Es gibt ein Leben danach!
RBB Doku: Auf Leben und Tod - Start heute 21 Uhr
Über ein Jahr haben Kamerateams des rbb den Alltag des größten Unfallkrankenhauses in Deutschland beobachtet. Dabei lernten sie in Berlin-Marzahn Patienten, Pflegekräfte und Ärzte kennen, nahmen Anteil an ihren Schicksalen. Auch mein Schicksal und meine ersten Gehversuche werden dort dokumentiert. Start der ersten Folge heute um 21 Uhr oder online in der rbb Mediathek. Bericht in der BZ HIER
Wichtige praktische Tipps:
- Achten Sie bei Reisen auf eine umfängliche Reisekrankenversicherung, inklusive Rücktransport. Mein Interconti-Flug kostete 75.000 Euro. Manche Reisekrankenversicherungen bieten auch einen integrierten Rechtsschutz im Ausland, um Forderungen durchzusetzen. Das ist bei einem Unfall extrem wichtig. Die Erfahrung zeigt leider, dass ausländische Haftpflichtversicherungen auf stur schalten. Das gilt nicht nur für die Dritte Welt, sondern auch für die USA und selbst für's EU-Ausland.
- Schließen Sie für sich und ihre Familie eine Unfallversicherung ab. Die zahlt immer, egal wo was passiert.
- Wichtig: Forderungsausfallversicherung. Die ist in vielen modernen Haftpflichtversicherungen gratis enthalten. Unbedingt Police checken! Besonders wichtig: der Geltungsbereich. Einige Forderungsausfallversicherungen gelten nur in der EU. Weltweiter Geltungsbereich wird dringend empfohlen, falls man außerhalb Europas unterwegs ist. - Eine Forderungsausfallversicherung zahlt, wenn der Gegner pleite oder mittellos ist. Wird auch für Deutschland immer wichtiger...