Seit Sonntag rumort es im deutschen Blätterwald und die Parlamentarier jeder Couleur sind auf den Barrikaden bzw. beim Aufsatteln der Kavalleriepferde: Die Schweiz, diese Ansammlung renitenter Bergvölker, hat es doch tatsächlich gewagt und vermeintlich eine der heiligen Kühe der EU geschlachtet...die Personenfreizügigkeit.
Von Dagmar Metzger, Dr. Alexander Gauland und Steffen Schäfer, Alternative für Deutschland
Naja, eigentlich haben die Schweizer lediglich ihr verfassungsmäßiges Recht als Souverän wahrgenommen und über eine bestimmte Fragestellung entschieden, nämlich ob die Schweiz künftig die Zuwanderung insgesamt wieder selbst steuern solle. Dies hat eine knappe Mehrheit der Eidgenossen mit „Ja“ beantwortet und damit wird die Schweiz in Zukunft genau das tun, was jedes Einwanderungsland von Kanada bis Neuseeland macht, nämlich die Einwanderung nach Bedarf und mit Kontingenten steuern.
In Deutschland aber taten die meisten Zeitungen und Talkrunden so, als hätten die Schweizer beschlossen, eine Mauer samt Todesstreifen um ihr kleines Land zu errichten und wollten es von nun an niemandem mehr gestatten, ihre geheiligten Gipfel und Täler auch nur zu betreten. Ja, mehr noch, es wurde mancherorts der Eindruck erweckt, die Helvetier hätten künftig Fackelzüge und „Ausländer raus“ Parolen für den sonntäglichen Familienausflug obligatorisch vorgeschrieben. Tatsächlich aber ist gar nicht viel geschehen und es wird sich wohl auch in Zukunft und in der Praxis nicht allzu viel ändern: Für eidgenössische Unternehmer wird die Anwerbung von Ausländern aufwendiger werden, aber da die Schweizer Behörden in der Regel sehr gut mit ihren Unternehmen kooperieren, dürfte sich der Aufwand im Rahmen halten. Einige Immigranten werden es vermutlich schwerer haben, ihre Familien ins Alpenglück nachzuholen. Das ist zwar für jene bedauerlich, die Schweizer selbst aber werden davon vermutlich nicht einmal etwas mitbekommen. Einfachere Tätigkeiten dürften künftig besser entlohnt werden, was doch zumindest für alle Mindestlohnverfechter eine frohe Botschaft darstellen sollte. Insgesamt alles nichts, was die dramatische Aufregung der politischen Klasse der EU rechtfertigen könnte.
Sicher – es gibt bestehende Verträge, auf die in den letzten Tagen nicht nur hingewiesen, sondern unangenehm lautstark gepocht wurde. Unbestritten wird das Votum den Bürokraten beider Seiten in den kommenden Jahren viel Arbeit bescheren, mehr aber auch nicht. Denn es ist das natürlichste der Welt, einen Vertrag neu zu verhandeln, wenn sich dessen Grundlagen, in diesem Fall die Verfassungswirklichkeit der Schweiz, geändert haben. Auch internationale Abkommen sind nicht in Stein gemeißelt, sondern können gekündigt bzw. modifiziert werden. Ganz nebenbei sei daran erinnert, dass die EU bzw. ihre bestimmenden Akteure im Zuge der Eurokrise keinerlei Hemmungen hatten, Verträge zu brechen – allerdings ohne vorher den Souverän zu befragen.
Anstatt die Entscheidung eines souveränen Nicht-EU-Mitglieds zu akzeptieren und sich die nächsten Schritte für ein konstruktives Miteinander zu überlegen, spielt die EU nun die beleidigte Leberwurst: Die Verhandlungen über einen gemeinsamen Strommarkt wurden erst einmal auf Eis gelegt. Das sich die Union mit solch einer Strategie ins eigene Fleisch bzw. das der Bürger schneidet, wird den verantwortlichen Akteuren vermutlich erst bewusst werden, wenn im deutschen Energiewunderland das nächste Mal ein Stromausfall droht. Ob die Schweizer dann allerdings angesichts der jüngst angeschlagenen Töne noch einmal bereit sein werden, dem Nachbarn zu helfen und Notreserven wie zuletzt im Februar 2012 frei zu machen, wird sich zeigen. Auch mit einer Zugangsverweigerung zum EU-Markt wurde bereits gedroht. Dabei ist die Schweiz einer der wenigen Handelspartner, denen gegenüber die EU eine positive Handelsbilanz ausweist, sprich die Schweiz importiert weitaus mehr Güter aus der EU als sie in diese ausführt. Im Zweifelsfall werden die Chinesen und Amerikaner gerne aushelfen. Insgesamt scheint es so, als sei die EU eher auf die Schweiz angewiesen als anders herum.
Wieso bemüht man sich dann nicht um ein gutes und konstruktives Verhältnis mit den Eidgenossen? Weshalb wird bei jeder sich bietenden Gelegenheit scharf auf die doch eigentlich recht friedlich vor sich hin lebenden Schweizer geschossen? Sei es im Fall von Steuerabkommen, bei denen man der Schweiz „Daumenschrauben“ anlegen wollte und ihr viel mehr und dies früher abverlangte als beispielsweise Luxemburg, obwohl die Heimat von Mr. Euro himself, Jean-Claude-Wenn-es-ernst-wird,-muss man-lügen-Juncker, in Sachen Schwarzgeld und Geldwäsche die vermutlich dunklere Weste hat. Oder bei Transitregelungen, obwohl der Schwerlastverkehr, der durch die Schweiz rollt, in der Tat eine gewaltige Belastung für Mensch und Natur darstellt oder jetzt bei Fragen der Zuwanderung.
Der Grund ist relativ simpel – die Schweiz ist, obwohl oder gerade weil sie ähnliche Vorraussetzungen hat, der Gegenentwurf zur EU: Während die Vertreter der Union zwar sehr gerne über Demokratie schwadronieren, selbst aber höchst undemokratisch organisiert sind, wird in der Schweiz die direkte Demokratie praktiziert, gelebt und vor allem als selbstverständlich erachtet. Mit dem was sich die deutsche Bundesregierung beispielsweise jüngst leistete, als sie gegen den Willen des Volkes und entgegen ihrer eigenen Wahlversprechen durch Stimmenthaltung den Anbau von Genmais in der EU ermöglichte, käme sie in der Schweiz nicht durch. Auch gilt in der Schweiz dank der föderalen Kantonsstruktur ganz automatisch das Subsidiaritätsprinzip. In der EU ist dies zwar eines der Gründungsprinzipien, aber inzwischen zur reinen Floskel verkommen. Brüssel soll und Brüssel will alles regeln. Der gesunde Wettbewerb zwischen den Einzelstaaten wird zerstört und statt dessen „Harmonisierung“ propagiert – ein euphemistischer Begriff für den zentral geplanten und zentral gesteuerten Einheitsbrei, der keinem gerecht werden kann. Der in der Schweiz zwischen den Kantonen bestehende Wettbewerb widerlegt auch noch en passant die Mär vom ruinösen „Steuerwettbewerb“ und zeigt stattdessen, dass dieser dem Bürger insgesamt zum Vorteil gereicht, weil er eine schlanke, effiziente und am Wohl der Bürger orientierte Verwaltung erzwingt.
Niedrige Steuern, gute Luft, gut bezahlte Arbeitsplätze und kaum Gefahr, dass die Sparguthaben „gezypert“ werden könnten – alles weitere Punkte, die zur Attraktivität der Schweiz beitragen, zumal es für Italiener, Franzosen und Deutsche keine großen Sprachbarrieren gibt. Dass dieser Staat, der tatsächlich ohne gesetzliche Saugleistungsregulierung für Staubsauger existieren kann, auch noch im Herzen Europas liegt, ist das i-Tüpfelchen auf der Schweizer Attraktivität bzw. macht die Schweiz erst recht zum Reißzwecken im Gesäß der EU.
Denn Attraktivität lässt sich, wie oben leicht skizziert, eben nur über eine zu vergleichende Alternative definieren. Womit klar wird, weshalb zahllose (EU-)Politiker beim Thema Schweiz hohen Blutdruck bekommen: Die EU ist im Vergleich zur Schweiz herzlich unattraktiv, gerade für junge und gut ausgebildete Menschen. Genau dies bringen die zahlreichen EU-Bürger, die in die Schweiz gehen, zum Ausdruck. Mit ihrem Beschluss erschweren es die Schweizer jenen künftig, mit den Füssen über die Attraktivität der EU abzustimmen. Aus dieser Perspektive ist man fast versucht zu glauben, dass die EU und ihre Politiker der Schweizerischen Eidgenossenschaft hierfür eigentlich dankbar sein müssten.