Schröder macht EU für Ukraine-Krise verantwortlich. „Putin ist keine Persona non grata“ – Altkanzler verteidigt Umarmung mit russischem Präsidenten. Eindringliche Warnung vor Sanktionen.
Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sieht im Agieren der Europäischen Union den Ausgangspunkt für die Krise in der Ukraine. „Der grundlegende Fehler lag in der EU-Assoziierungspolitik“, sagte Schröder der „Welt am Sonntag“ und dem „SonntagsBlick“: „Die EU hat ignoriert, dass die Ukraine ein kulturell tief gespaltenes Land ist.“ Schon immer hätten sich die Menschen im Süden und Osten der Ukraine eher nach Russland hin orientiert sagte Schröder: „Über eine Assoziierung hätte man reden können, aber zeitgleich mit Russland! Das ,Entweder oder’ – also entweder Assoziierung mit der EU oder Zollunion mit Russland – war der Anfangsfehler.“
Kritik übte Schröder auch an der Übergangsregierung in Kiew. „Nachdem diese neue Regierung ins Amt kam, wurden schwere Fehler gemacht. Was war deren erste Entscheidung? Russisch als Amtssprache abzuschaffen.“ Zudem sei der östliche Landesteil in der Regierung nicht vertreten, sagte Schröder: „Das schafft Misstrauen, ebenso wie die Beteiligung einer rechtsextremen Partei an der Regierung. Welche Wirkung das auf viele Menschen im Osten und Süden des Landes hat, kann man nachvollziehen.“
Schröder rief Kiew dazu auf, die Gewalt im Osten des Landes zu beenden. „Die ukrainische Regierung sollte jetzt jede Chance zu einer friedlichen Beilegung des Konflikts nutzen. Wenn sie das nicht tut, dann ist das unverantwortlich“, sagte der Altkanzler. Die ukrainische Regierung müsse „zu einem nationalen Dialog mit den ostukrainischen Kräften bereit sein, sie muss mit ihren militärischen Aktionen aufhören“. Wenn sie das nicht tue, „muss die EU Druck auf die Kiewer Regierung ausüben, damit diese den richtigen Weg einschlägt. Der Schlüssel zur friedlichen Lösung liegt nicht nur in Moskau, sondern auch in Brüssel, Washington und Berlin.“
Schröder würdigte den Appell des russischen Präsidenten Wladimir Putin an die russisch orientierten Kräfte in der Ostukraine, das für diesen Sonntag geplante Unabhängigkeitsreferendum zu verschieben. Dies sei „ein Beitrag zu einer konstruktiven Lösung und zeigt doch auch, dass Russland nicht an einer Verschärfung der Lage interessiert ist“. Schröder warnte jedoch davor, Putins Einfluss in der Ukraine zu überschätzen: „Die Vorstellung, der russische Präsident oder der Regierungschef oder wer auch immer müsse nur ,Basta’ sagen und alles käme in Ordnung, ist sicherlich nicht realistisch.“
Schröder: „Putin ist keine Persona non grata“ –
Altkanzler verteidigt Umarmung mit russischem Präsidenten
Schröder hat Kritik an der Feier seines 70. Geburtstages in Anwesenheit des russischen Präsidenten Wladimir Putin vor knapp zwei Wochen in St. Petersburg zurückgewiesen. „Der russische Präsident ist keine Persona non grata. Ich habe mich gefreut, dass er gekommen ist – auch weil ich wusste, dass es dann die Möglichkeit für ein Gespräch gibt“, sagte Schröder der „Welt am Sonntag“ und dem „SonntagsBlick“.
Schröder sieht in dem Gespräch mit Putin während seiner Geburtstagfeier einen Beitrag zur Befreiung der OSZE-Beobachter in der Ukraine. „Es hat, was die Freilassung der OSZE-Militärbeobachter angeht, auch zu einem Erfolg geführt. Ich habe das Gespräch mit Präsident Putin dazu genutzt, ihn zu bitten, bei der Freilassung der Geiseln zu helfen“, sagte Schröder. Teilweise habe er mit Putin unter vier Augen gesprochen, sagte Schröder: „Aber bei diesem Thema waren auch andere Gesprächsteilnehmer dabei. Über einen, Herrn Mißfelder, wurde ja öffentlich gestritten.“ Das Klima der Gespräche beschrieb Schröder als „freundschaftlich, auch ernst“.
Kritik am Zeitpunkt der Geburtstagsparty angesichts von Ukraine-Krise und Annexion der Krim wies Schröder zurück. „Ich habe nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, darum zu bitten, den Empfang abzusagen“, sagte der SPD-Politiker. Er verteidigte auch seine Umarmung mit Putin am Rande der Feier. „Natürlich war mir klar, dabei fotografiert zu werden. Aber ich habe nichts zu verbergen und ich werde mich auch nicht verbiegen. Seitdem ich Wladimir Putin kenne, seit mehr als 14 Jahren, begrüßen wir uns so. Das ändere ich auch nicht in schwierigen Zeiten“, sagte Schröder. Die Geburtstagsfeier sei für ihn als Vorsitzenden des Shareholder Committes der Pipeline-Gesellschaft Nord Stream ausgerichtet worden, sagte der Altkanzler: „Im Herbst vergangenen Jahres haben die Anteilseigner entschieden, aus Anlass meines 70. Geburtstages einen Empfang in Sankt Petersburg zu veranstalten.“
Schröder warnt vor Sanktionen gegen Russland
Der Altbundeskanzler hat Deutschland und den Westen davor gewarnt, in der Ukraine-Krise weitere Sanktionen gegen Russland zu verhängen. „Man sollte jetzt weniger über Sanktionen sprechen, sondern auch über russische Sicherheitsinteressen“, sagte Schröder der „Welt am Sonntag“ und dem „SonntagsBlick“. Eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine etwa sei „für Russland nicht akzeptabel. „Ich höre stattdessen immer nur, der Westen müsste Russland und Putin isolieren“, kritisierte der SPD-Politiker.
Schröder lobte das Bemühen von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), in der Ukraine-Krise zu deeskalieren. „Das tut er, weil die Entspannungspolitik ein Markenkern der deutschen Sozialdemokratie ist. Die Ostpolitik gehört zu ihren großen historischen Erfolgen. Die Aussöhnung mit Russland und Polen ist ein Kern davon. Ich rate daher, dem amerikanischen Drängen auf mehr Sanktionen zu widerstehen – auf Dauer.“ Schröder kritisierte den Umgang von US-Präsident Barack Obama mit Moskau. „Man sollte Russland nicht als Regionalmacht bezeichnen, wie es der amerikanische Präsident getan hat. Das ist nicht klug“, sagte Schröder: „Russland ist eines von fünf ständigen Mitgliedern im Sicherheitsrat. Russland ist in allen relevanten weltpolitischen Fragen wichtig. Wir sind auf diese Zusammenarbeit angewiesen.“
Deutschland habe für Russland eine zentrale Bedeutung, sagte Schröder. „Wir sind Russlands wichtigster Partner in Europa, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch. Deswegen ist die Rolle der Bundesregierung so wichtig.“ Mit Blick auf die Telefonate von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sagte Schröder: „Es geht doch auch darum, dem Gesprächspartner das Gefühl zu geben, dass man ihn und seine Interessen ernst nimmt.“ Es helfe, „wenn man Gespräche auf Augenhöhe führt. Man sollte versuchen, die Argumente seines Gegenübers zu verstehen und dann zu schauen, wie man zu einer gemeinsamen Lösung kommen kann. Sicher ist: Sanktionen und Isolation bringen nichts.“
Indirekt wies Schröder Merkels Kritik an den russischen Paraden zum Gedenken an das Kriegsende auf der Krim zurück. „Angesichts des schrecklichen Leids, das Nazi-Deutschland über die Staaten der ehemaligen Sowjetunion gebracht hat, sollte man als Deutscher sich zurückhalten, Kritik bei der Ausgestaltung der Feierlichkeiten Russlands zum Ende des Zweiten Weltkriegs anzubringen“, sagte Schröder. Er halte es auch für „richtig, dass Frankreich die Einladung an den russischen Präsidenten aufrecht erhält, an der Gedenkfeier zum D-Day in der Normandie teilzunehmen“.