Der Triumph von Trump markiert den vorläufigen Höhepunkt eines Weltbebens, dessen Epizentrum von Kontinentaleuropa über die Brexit-Insel nach Amerika gewandert ist, von wo die Schockwellen auf uns zurückwirken.
Kommentar aus dem Handelsblatt Morningbriefing von Gabor Steingart
Das war keine Niederlage, das war eine Demütigung. Nicht nur für Hillary Clinton, sondern für das Establishment des westlichen Politikbetriebes. Der Triumph von Trump markiert den vorläufigen Höhepunkt eines Weltbebens, dessen Epizentrum von Kontinentaleuropa über die Brexit-Insel nach Amerika gewandert ist, von wo die Schockwellen auf uns zurückwirken.
Mit einer Art Guerillataktik, einem Flüsterwahlkampf hinter dem Rücken der Meinungsforscher, haben die amerikanischen Wähler dem Poltergeist Donald Trump die Tür zum Weißen Haus aufgeschlossen. Die Experten sprechen vom "hidden vote", der vor Nachbarn und Vorgesetzten verheimlichten Stimmabgabe für einen politischen Außenseiter.
Wer die Analyse allerdings auf den Anführer des populistischen Sturms reduziert, hat wenig verstanden. Donald Trump besitzt ein pralles Ego, aber das war es nicht. Die politische Energie, die ihn nach oben spülte, hat sich weit außerhalb seiner Persönlichkeit aufgebaut. Sie kommt aus den Tiefen des Volkes. Man kann sogar sagen, dass nicht er das Volk verführte, sondern das Volk sich vielmehr seiner bemächtigte. Er ist das Wirtstier, das die Botenstoffe des Aufstands ins Zentrum der westlichen Macht transportierte.
Die Wut kommt von den Schmerzen, den tatsächlichen und den befürchteten. Die großen Heilsversprechen der Moderne - Globalisierung, Digitalisierung und die Bildung multikultureller Gesellschaften - überfordern eine Mehrheit der Bürger, überall im Westen.
Der Welthandel schafft Wohlstand, aber nicht für alle. Der Börsenkapitalismus lässt die einen zu den Sternen aufsteigen, derweil andere den sozialen Absturz erleben. Die Digitalisierung gibt jedem eine Stimme, aber zugleich entwertet sie die menschliche Arbeitskraft. Man muss kein Marxist sein, um zu verstehen, dass ökonomische Prozesse dieser Wucht Folgen für den politischen Überbau haben. Disruption ist für die Wirtschaftselite ein Modewort und für den Rest der Menschheit eine Bedrohung. Albert Camus: „Was ist ein Mensch in der Revolte? Ein Mensch, der Nein sagt.“
Natürlich birgt die Infragestellung bisheriger Verfahren und Autoritäten - von den Volksparteien über die Wirtschaft bis zu den tradierten Medien - Gefahren, die nicht unterschätzt werden dürfen. Wie stabil ist eine Gesellschaft in Suchbewegung? Welcher seriöse Mensch ist nach den Erfahrungen von Brexit-Kampagne und Trump-Wahlkampf noch bereit, die politische Bühne zu betreten? Wie soll die Wirtschaft auf diesem schwankend gewordenen Fundament weiter für Wohlstand und Arbeitsplätze sorgen?
Die nächsten Jahre werden uns Teilantworten liefern, womöglich auch solche der unbequemen Art. Doch wer glaubt, sich in Erwartung von Schwierigkeiten der Debatte verweigern zu können, bereitet den Schaden vor, den er verhindern will. Nichts ist alternativlos, nicht mal die Demokratie. Insofern sind wir zur Zuversicht verdammt. Oder wie die österreichische Schriftstellerin Ingeborg Bachmann sich ausdrückte: „Jeder, der fällt, hat Flügel.
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