Tugendterror: 20 Jahre Politische Korrektheit. Kinderbücher umzuschreiben ist der neueste Schrei. Der „Negerkönig“ aus „Pippi Langstrumpf“ wird beispielsweise einfach umbenannt. Die gesamte Literatur wird nach politisch inkorrekten Stellen durchforscht und gesäubert. Shakespears Mohr wird die nächste Herausforderung. „Othello, der Andersfarbige von Venedig“?
Von Klaus Rainer Röhl
Tugendterror. Das Wort entstand in der Französischen Revolution, als sie schon alle Masken fallen gelassen hatte. Am Anfang hatte sie sich noch als Mittel zur Befreiung der Menschheit ausgeben. Begeistert begrüßt auch von deutschen Schriftstellern wie Hölderlin und Komponisten wie Beethoven. Goethe jedoch blieb skeptisch und schrieb mit „Hermann und Dorothea” eine klare Absage an die Chaoten.
Er traf sich dennoch mit dem blutigen Diktator Napoleon und rechtfertigte das selbstbewusst als Beweis seines persönlichen Unabhängigkeit: „Mir beliebt zu konversieren – mit Gescheiten – mit Tyrannen“. Der Tyrann Napoleon war kein Unglücksfall der Geschichte, sondern das Ergebnis des Putsches einer Minderheit.
Die Drahtzieher der Französischen Revolution, die sich am Ende willig von dem ihnen geschaffenen Moloch fressen ließen, hatten nie die Befreiung der Menschen im Sinn, sondern ihre Erziehung. Sie hassten und verachteten die Massen mehr als die Könige und Despoten, und als Kinder ihrer Zeit waren sie davon überzeugt, die Menschen zu ihrem Glück zwingen zu müssen, sie also zu erziehen durch den Tugendterror. Ihr Prinzip wurde später von ihrem bedeutendsten Bewunderer Mao auf die Kurzform gebracht: „Bestrafe einen – erziehe hundert.“
Er mordete Millionen seiner Landsleute, Stalin fast zehn Millionen, Pol Pot ein Drittel seines Volkes. Die Erziehung glückte nie. Denn „..der Mensch ist sehr brauchbar“, wie es bei Bertold Brecht in den „Svendborger Gedichten von 1939 heißt, „… Aber er hat einen Fehler: Er kann denken.“ Der mündige Mensch will nicht erzogen werden. Er will frei sein, wie die Vor-Bewohner unseres Landes, die unter Armin dem Cherusker dafür sorgten, dass wir nicht ein Teil des Römischen Reichs wurden und heute Deutsch sprechen dürfen und nicht eine Mischung aus Latein und örtlichen Dialekten.
Wenn das auch vielen in Brüssel nicht gefällt: Bei uns wird Deutsch gesprochen, in Österreich und der Schweiz auch, macht mal eben 100 Millionen. Verstanden? Lernt Deutsch im Goethe-Institut oder im Internet! Das bringt Jobs. Was die deutsche Geschichte bedeutet, muss nicht jeder begreifen. Viele Deutsche wissen oft selbst nicht, was das ist, Freiheit. Freiheit von Unterdrückung von außen und Liebe zur eignen Art. Viele gute Menschen, so zum Beispiel „Zeit“-Leser und „Zeit“-Schreiber, bringen sich fast um vor Sorge um ihre Landsleute, die einfach nicht lernen wollen, was gut für sie ist. Immerzu, seit 1945, müssen sie erzogen werden. Wie erzieht man sie? Durch die politische Korrektheit. Tugendterror, wie ihn einst Robespierre am 5. Februar 1794 verkündete.
Am Anfang war das Wort. Seit gesprochen wird, wurde auch gelogen. Sehr früh wussten die Könige und Fürsten, dass man mit Worten den Untertanen leicht ein X für ein U vormachen kann. Demokratie, für kurze Zeit eine wunderbare und einleuchtende Idee, gewährte die Freiheit des Wortes oft gerade nicht.
Sokrates wurde angeklagt, unkorrekte, gegen Staat und Religion gerichtete Reden zu führen und die Jugend mit seinen Worten zu verführen. Er musste den Schierlingsbecher nehmen. In Rom sah es nicht besser aus. Mit dem Amt der Zensoren, die ab 443 v. Chr. nicht nur die Steuerveranlagung vornahmen, sondern auch darüber wachten, dass die Bürger kein „sittenwidriges Verhalten” an den Tag legten, war die erste politisch korrekte Behörde geboren.
Das Christentum erweiterte das Erziehungs-Programm durch Hexenprozesse, Inquisition und Flammentod zugunsten der richtigen Lehre. Von da war es nur noch ein Schritt zum „Wohlfahrtsausschuss“ der Französischen Revolution, einer Neuerung, die den Wirren der Endphase nicht standhielt. Was standhielt, war die Idee, mörderische Praktiken oder Einrichtungen einfach umzubenennen. Neu war die zynische Benennung einer meist tödlichen Einrichtung durch ihr genaues Gegenteil: „Bodenreform“ hieß die Verschleppung und Vernichtung von zehn Millionen russischen Bauern. „Umsiedlung“ hieß die Deportation von Millionen Juden in Arbeitslager, „Endlösung“ ihr Tod. Tiervergleiche beseitigten die Tötungshemmung. Die bis heute üblichen Schimpfworte von 1968 für Polizisten – „Schweine“ (Pigs) und „Bullen“ – bereiteten den Satz „Auf Bullen kann geschossen werden!“ vor.
Ab 1993 hörten wir zum ersten Mal etwas über die Politische Korrektheit. Interessant zu wissen, wo der Unsinn herkam. Aus einer der finstersten Epochen der amerikanischen Geschichte, der McCarthy-Ära, wanderte der Begriff Political Correctness im Laufe der Jahre an die Universitäten und Zeitungen der Ostküste. Nunmehr als Minderheitenschutz verkleidet. Schutz der Minoritäten vor verbalen Kränkungen – etwa der Schwarzen, Juden, Latinos, Behinderten und … Frauen, denn auch Frauen fühlten sich diskriminiert.
Gegen die meist eingebildete verbale Kränkung ersann man eine Reihe von Ersatz-Begriffen, „Anders Begabte” für geistig Behinderte, „Horizontal Herausgeforderte“ für Dicke. Die Abschaffung des Zigeunerschnitzels wurde zum gesellschaftliches Gebot – schon in Ulbrichts Mauerrepublik hatte man die Königsberger Klopse ja durch Kapern-Klöße ersetzt, und ein bisschen lustlos taufte man die Negerküsse in „Schaumküsse” um.
Der „Zigeunerbaron“ als Operettentitel war und ist schwer durch „Sinti und Roma-Baron“ zu ersetzen. Der Eiertanz um die die GenossInnen ist noch in guter Erinnerung. Als Kabarett-Spaß. Aber die inzwischen fest angestellten Gleichstellungsbeauftragten und Wächter der Politischen Korrektheit verstehen keinen Spaß. Sie entwickelten einen Terror, der sich mit dem der Jakobiner durchaus messen kann. Da gibt es natürlich eine Arbeitsteilung: Die Tugendwächter in den Medien machen sich nicht die Hände schmutzig. Wen sie zum Abschuss freigeben, der ist verfemt. Wenn sie eine Zeitung für „rechts“ erklären, dann besuchen am anderen Tag die antifaschistischen Schlägertrupps die Kioskbesitzer und setzen sie unter Druck. Physisch und psychisch.
Kinderbücher umzuschreiben ist in diesem Monat der neueste Schrei. Der „Negerkönig“ aus „Pippi Langstrumpf“ wird beispielsweise einfach umbenannt. Die ganze Literatur wird nach politisch inkorrekten Stellen durchforscht und gesäubert. Shakespears Mohr wird die nächste Herausforderung. „Othello, der Andersfarbige von Venedig“?
Doch die größte verbale Mogelpackung war das seit einigen Jahren stillschweigend eingeführte Wort „Migranten“, ein Schwindelwort für jede Art von Einwanderern. Leute mit „Migrationshintergrund“ stehen seitdem unter dem besonderen Schutz der Gesellschaft, Russlanddeutsche nicht.
Und die Bilanz nach 20 Jahren politischer Korrektheit? Sind wir nun korrekt genug? Keineswegs. Das Misstrauen gegen die kleinen Leute ist geblieben, die Wut über ihre „eingefleischten Vorurteile“ und die „Stammtische“. Die Enttäuschung über die trotz „Monitor“, „Fakt“, „Kontraste“, „Panorama“ und immer neuer, hoch subventionierter „Programme gegen Rechts“ schwer erziehbaren Deutschen kommt in allen Politikerreden und Talkshows zum Vorschein. Eigentlich sind wir alle unbelehrbar und unkorrekt, das ganze, von frauenfeindlichen Vorurteilen, Rassismus und Antisemitismus befallene deutsche Volk.
Vielleicht geben die Erzieher eines Tages einfach auf und suchen sich ein anderes Volk?
Klaus Rainer Röhl eröffnete schon 1994 die Diskussion mit seinem Buch „Deutsches Phrasenlexikon. Politisch korrekt von A bis Z“, Ullstein Verlag.