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Friedman kritisiert deutschen Umgang mit Rechtsextemismus


Michel Friedman (Archiv), über dts NachrichtenagenturDer Publizist Michel Friedman hat das Gedenken an den Holocaust in Deutschland und den Umgang mit Rechtsextremisten und der AfD in scharfen Worten kritisiert. "Es gibt keine Erinnerungskultur in Deutschland", sagte er dem "Tagesspiegel" (Mittwochausgabe). "Die deutsche Erinnerungskultur ist ein schwarzes Loch", so Friedman. "Darin gibt es helle Punkte von den Millionen, die sich um Erinnerung bemühen, Stolpersteine verlegen. Aber es gibt auch die Millionen, die die Erinnerungskultur umdrehen in ein furchtbar braunes Loch: Da werden Täter zu Opfern gemacht, da wird nur von den Bombenangriffen der Alliierten erzählt." Friedman, einst Vize-Vorsitzender des Zentralrats der Juden, kritisierte, "dass nur 0,5 Prozent aller, die in KZs Schuld auf sich geladen haben, vor ein Gericht gekommen sind" und dass in der jungen Bundesrepublik "die alten Nazis reingeschleust wurden in Verwaltung, BND, Politik, Polizei, in Elitefunktionen".

Wenn er heute höre "Wehret den Anfängen", könne er nur antworten: "Welche Anfänge? Wir sind längst mittendrin. Weil wir kaum etwas nicht aus der Geschichte gelernt haben. Das ist sehr schmerzlich." Dass 80 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz im Januar 1945 die Erinnerung verblasse, liege nicht am Versterben der letzten Zeugen. "Die Relativierung begann schon, als alle noch lebten. Es gab immer die Klage: Jetzt reicht`s mit Auschwitz. Sie steigerte sich bis zum Begriff der `Auschwitzkeule`", sagte Friedman, dessen Eltern den Holocaust überlebten, weil sie auf Schindlers Liste standen. "Der Holocaust-Gedenktag kam Ende des 20. Jahrhunderts sehr spät", beklagt Friedman. Seit 2005 ist der Jahrestag der Befreiung von Auschwitz am 27. Januar ein internationaler Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Das Schweigen über die Schuld der Deutschen im Nationalsozialismus könnten nicht nur die Opfer durchbrechen, sagte Friedman. Als ihn Lehrer angerufen hätten, um ihnen Überlebende zu nennen für den Unterricht, habe er einmal ins Telefon gerufen, dass es Millionen Überlebende gebe und man die eigenen Eltern fragen solle. "Das Leiden konnte man bei den Opfern lernen. Aber wie so etwas passiert, was wir mit `Wehret den Anfängen` meinen, das konnte man nur von den Tätern lernen. Davon gab es Millionen. Millionen, die mitgemacht haben, aktiv oder durch Unterlassen. Und später nichts davon erzählt haben." Der Publizist forderte die Prüfung eines AfD-Verbots. "Wenn die Beweise ausreichend sind, um verantwortungsbewusst die AfD zu verbieten, ist es die Pflicht der demokratischen Institutionen, das zu tun. So ist es im Grundgesetz verankert", sagte Friedman. Die Bundesrepublik sei heute strukturell demokratisch. "Trotzdem ist der Angriff, den wir gerade erleben von der Partei des Hasses, ein struktureller, weil zum ersten Mal eine antidemokratische Partei in die demokratischen Systeme eingedrungen ist, um sie auszuhöhlen." Friedman, einst Vize-Vorsitzender des Zentralrats der Juden, beklagte, dass Deutschland weiterhin auf dem rechten Auge blind sei. "Ein Land, dessen Regierung 2022 zum ersten Mal zugibt, dass der Rechtsextremismus die größte Gefahr für die Demokratie ist, leidet unter kollektiver Verdrängung", sagte Friedman. "Die Annahme, es gebe kaum Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus, ist einer der Offenbarungseide der Bundesrepublik seit ihrer Gründung bis jetzt", so der Publizist. "Rostock, Hoyerswerda, Mölln, der NSU, Hans-Georg Maaßen als Verfassungsschutzpräsident - immer hieß es: Einzelfälle. Eine juristische Lösung ändert nichts an dieser gesellschaftlichen Realität." 80 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 beklagte Friedman außerdem, dass "unsere Gesellschaft beim selbstgewissen Ausruhen die Muskelkraft verloren hat". Diejenigen, die die Demokratie zerstören wollten, trainierten hingegen jeden Tag. "Die Demokraten sind in der Mehrheit, aber es gibt viele gleichgültige, gelangweilte, untrainierte Demokraten", sagte Friedman. Er warnte Deutschland davor, sich angesichts der vielen Krisen und Kriege zurückzuziehen. "Der Satz `Krieg ist kein Mittel der Politik`, den wir gerne vor uns tragen, soll uns nur entlasten", so Friedman. "Wir haben uns in ein Schlaraffenland zurückgezogen."

Foto: Michel Friedman (Archiv), über dts Nachrichtenagentur

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