Vor wenigen Tagen wurde ihr Mann Charlie Kirk ermordet. Für die Beerdigungsfeier wich man in eine Fußballarena aus. 73.000 Menschen füllten die Ränge, weitere 80.000 standen draußen vor den Toren, und Millionen verfolgten die Zeremonie live am Bildschirm.
Von Meinrad Müller
Inmitten dieser weltweiten Anteilnahme stand seine junge Witwe Erika – und sagte den Satz zum Attentäter, der Menschen in allen Kontinenten bewegte: „Ich vergebe ihm.“ Drei Worte. Schwerer als zehn Millionen Predigten. Wenn sie das kann, warum nicht auch wir? Vergebung ist die Abkehr vom Rachedenken. Erika erinnerte an Jesu letzte Worte: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Dem Hass die Nahrung nehmen
Bemerkenswert ist, was nach dem Attentat geschah – und was nicht. Es gab keine landesweiten Ausschreitungen, keine Rachezüge, keine nächtlichen Krawalle. Stattdessen fanden viele zum Glauben zurück: Menschen schlugen wieder die Bibel auf, beteten, gingen in den Gottesdienst – oft zum ersten Mal seit Jahren. Man kann das nüchtern „Rückkehr zum Glauben“ nennen. Der Sauerteig wirkt leise, aber er verändert den ganzen Teig. Diese stille Bewegung ist politisch brisanter, als mancher meint: Sie nimmt dem Hass die Nahrung.
Erika zeichnete ein einfaches, verständliches Bild von Ehe und Familie. Sie und Charlie pflegten eine Gewohnheit: Jeden Samstag schrieb er ihr einen Brief. Darin stand, wofür er dankbar war, was ihn in der Woche bewegt hatte, und immer auch die Frage, wie sie füreinander da sein konnten. Nähe ohne Misstrauen, Vertrauen ohne Buchführung – daraus erwächst Frieden im Kleinen. Und aus dem Kleinen wächst Halt für das Große.
Die Antwort auf Hass ist nicht Hass
Besonders eindringlich war ihr Blick gerichtet auf die hunderttausenden jungen Männer ohne Ziel und Halt, jene „verlorenen Söhne“ unserer Zeit. Charlies Arbeit galt ihnen: Perspektive zeigen, Verantwortung wecken, raus aus Ablenkung und Groll. Und hier wird das Christliche kompromisslos: Selbst dem Täter, sagt sie, hätte Charlie einen Weg weisen wollen. Als sie dann öffentlich „Ich vergebe ihm“ sagte, war das völliger Ernst. Sie unterbrach den Kreislauf von Vergeltung und Gegenvergeltung. „Die Antwort auf Hass ist nicht Hass“, sagte sie sinngemäß. „Die Antwort ist Liebe.“ Das klingt schlicht – ist aber die härteste Disziplin. Wer vergibt, entmachtet den Täter im eigenen Herzen. Wer vergibt, entgiftet Familie, Nachbarschaft, Betriebskantine, Vereinsheim. So beginnt Befriedung.
Wo das Gespräch endet, beginnt die Gewalt
Erika blieb zugleich realistisch: Glaube ist keine Stimmung, sondern Übung. Beten und wieder in der Bibel lesen, immer wieder. Sonntags in den Gottesdienst, regelmäßig. Alle Entscheidungen prägen die Seele, sagte sie. Jede einzelne setzt einen kleinen Markstein. Viele kleine Marksteine ergeben einen Weg. Das wirkt unscheinbar, aber es befreit Schritt für Schritt von Kränkung und Ressentiment.
Aus dem Persönlichen wurde schließlich ein Auftrag. Sie kündigte an, die Arbeit ihres Mannes fortzuführen. Nicht zur Erinnerungspflege, sondern als Weiterführung. Meinungsfreiheit nannte sie das menschlichste Grundrecht: Der Mensch ist ein sprechendes, glaubendes Wesen. Wo das Gespräch endet, beginnt die Gewalt. Das ist eine nüchterne Beobachtung – auch für uns in Deutschland.
Und wieder diese drei Worte, die in Erinnerung bleiben: „Ich vergebe ihm.“ In einer Welt, die sich oft als „Anhäufung von Taten Unwissender“ zeigt, sind sie Sprengstoff gegen den Geist der Vergeltung. Vergebung heißt nicht: verharmlosen. Vergebung heißt: Schuld der Gerechtigkeit Gottes überlassen und dem Nächsten die Tür zur Umkehr offenlassen. Wer diesen Weg geht, erlebt die stärkste Form der Befriedung: im eigenen Inneren – und von dort aus in Familie und Gesellschaft.
Vielleicht ist das der eigentliche Kern dieses Tages in der Fußballarena: Eine junge Witwe, die am Sarg das Unmögliche ausspricht – und damit das Mögliche öffnet. „Ich vergebe ihm.“ Drei Worte, die versöhnen können. Wenn Erika das kann – warum nicht auch wir, heute, hier, im Kleinen beginnen.



