Der Börsenprospekt ist Pflicht und Bremsklotz zugleich. Bevor die begehrten Investorengelder fließen, verlangt der Gesetzgeber eine formale Voraussetzung: den genehmigten Börsenprospekt.
Von Meinrad Müller
Laut § 3 des Wertpapierprospektgesetzes (WpPG) ist dieser Prospekt notwendig, wenn ein Unternehmen in Deutschland öffentlich Kapital aufnehmen will. Erst nach der Genehmigung durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) darf der Börsengang starten.
Doch die Erstellung eines solchen Prospekts ist nicht nur Pflicht, sondern oft ein kostspieliges Großprojekt. Umfang: bis zu 300 Seiten. Kostenpunkt: nicht selten bis zu 200.000 Euro. Wochenlang arbeiten spezialisierte Teams aus Juristen, Wirtschaftsprüfern und Beratern an Zahlenwerk und Formulierungen. Für viele junge Firmen ist das eine Hürde, die sie von vornherein ausschließt.
KI übernimmt das, was Zeit und Geld frisst
Genau hier kommt die Künstliche Intelligenz ins Spiel. Große Investmenthäuser wie Goldman Sachs und Morgan Stanley setzen bereits auf KI-gestützte Systeme, die den Großteil eines IPO-Prospekts automatisch erstellen können. Die KI durchsucht Geschäftsberichte, analysiert Finanzdaten, vergleicht Branchenkennzahlen und erstellt standardkonforme Texte – inklusive grafischer Aufbereitung. Der Mensch greift nur noch an entscheidenden Stellen ein: bei der strategischen Schärfung, der rechtlichen Endkontrolle und der finalen Abstimmung mit der BaFin.
Goldman-CEO David Solomon sagte, dass 95 Prozent eines Prospekts inzwischen durch KI in wenigen Minuten erstellt werden, eine Arbeit, für die früher ein sechsköpfiges Team zwei Wochen benötigte.
Auch Morgan Stanley berichtet von enormen Effizienzgewinnen. Allein im Jahr 2025 konnten bislang dort über 280.000 Arbeitsstunden durch KI-basierte Tools eingespart werden, unter anderem beim Erstellen und Übersetzen komplexer Dokumente.
Neue Chancen für junge Unternehmen
Gerade für wachstumsorientierte Mittelständler, Start-ups oder Technologiefirmen eröffnet diese Entwicklung neue Möglichkeiten. Wo bisher hohe Kosten und lange Vorlaufzeiten abschreckten, wird der Zugang zum Kapitalmarkt nun realistischer. Die Prospekterstellung ist kein Privileg großer Emissionsbanken mehr. Mit einem schlanken Team, einem fundierten Geschäftsmodell und KI-gestützten Tools lässt sich ein börsenfähiger Auftritt in wenigen Tagen realisieren.
Natürlich bleibt der Mensch am Ende in der Verantwortung. Die rechtlichen Standards gelten unverändert, und die BaFin prüft weiterhin jeden Prospekt akribisch. Doch der Aufwand, um dorthin zu gelangen, schrumpft erheblich. Das Monopol auf aufwändige IPO-Vorbereitungen wackelt.