Die Kapitallebensversicherung auflösen: Urteil des Europäischen Gerichtshofes könnte Klagewelle gegen Versicherer nach sich ziehen.
In Sachen Kapitallebensversicherung macht sich zunehmend Unzufriedenheit unter Versicherten breit. Jetzt hat der Europäische Gerichtshof ein Urteil gefällt, das die Versicherungsbranche auf den Kopf stellen könnte. Versicherungen, die in einem bestimmten Zeitrahmen abgeschlossen wurden, sollen nachträglich auflösbar sein – ohne finanzielle Einbußen für die Versicherten.
Der Europäische Gerichtshof hat ein möglicherweise folgenschweres Urteil getroffen.
Es ist eine Entscheidung, die Versicherer in arge Bedrängnis bringen könnte. Bereits im September des vergangenen Jahres hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass auch weit in der Vergangenheit abgeschlossene Policen zu einer Kapitallebensversicherung nachträglich auflösbar sind und sorgte damit für eine echte Sensation in der Versicherungsbranche. Die Kommission entschied, dass Lebensversicherungsverträge, die zwischen 1994 und 2007 abgeschlossen wurden, nun nachträglich angefochten und aufgelöst werden dürfen. Diese Maßnahme soll der Tatsache Rechnung tragen, dass Kunden mit einer Lebensversicherung hohe finanzielle Einbußen haben, wenn sie diese ordnungsgemäß kündigen. Damit hat der Europäische Gerichtshof erneut ein Urteil gefällt, das sich sehr zum Vorteil der Verbraucher auswirken könnte, für Versicherer aber einen echten Tiefschlag bedeutet.
Durch die Aufhebung des Versicherungsvertrages sollen sich Versicherte dagegen deutlich günstiger stehen, so der Europäische Gerichtshof. Kunden, die sich entschließen, diesem Urteil zu folgen und ihre Versicherungspolice nachträglich anzufechten, könnten sämtliche eingezahlten Beiträge seit Beginn der Versicherung zurückbekommen, zuzüglich einer festgelegten Verzinsung, die derzeit nach in Deutschland gültigem Widerspruchsrecht bei 4,6 Prozentliegt. Für Versicherte könnte dies einen enormen finanziellen Vorteil gegenüber einer regulären Kündigung ihrer Versicherung bedeuten. In diesem Falle werden vom angesparten Kapital nämlich zunächst Bearbeitungsgebühren und Verwaltungskosten abgezogen, die zu empfindlichen Einbußen führen können.
Die Entscheidung, ob die betroffenen Policen aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofes tatsächlich unwirksam sind, liegt jedoch zunächst beim Bundesgerichtshof. Sollte er die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes bestätigen und damit festlegen, dass Versicherungsverträge, die aus dem genannten Zeitraum stammen, für ungültig erklärt werden können, wären Millionen von Versicherten in der Lage, nachträglich die Auflösung ihrer Verträge zu verlangen. Für Versicherer könnte dies zu einem finanziellen Eklat führen. Namhafte Versicherer wie CosmosDirekt und die Hannoversche Leben rechnen bereits mit einer Klagewelle, die dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes folgen könnten, wenn der Bundesgerichtshof die Entscheidung bestätigt.
Nebensatz eines Paragraphen verstößt gegen Europäisches Recht
Wie schmal die Grenze zwischen Recht und Unrecht manchmal sein kann, zeigt das Urteil des Europäischen Gerichtshofes noch einmal sehr deutlich. Es beruht auf einem Passus im Versicherungsvertragsgesetz, das zwischen 1995 und 2007 für alle neu abgeschlossenen Kapitallebens- und Rentenversicherungen Gültigkeit hatte. Dort heißt es in §5a „Das Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers erlischt ein Jahr nach Zahlung des ersten Beitrags – egal ob der Versicherungsnehmer über dieses Recht richtig aufgeklärt wurde oder nicht.“ Was von Seiten der Verbraucherschützer schon zum damaligen Zeitpunkt als unzulässig eingestuft wurde, behielt immerhin viele Jahre seine Gültigkeit. Erst im vergangenen Jahr hatte sich ein Versicherungsnehmer diesbezüglich an die zuständigen Gerichte gewandt und seinen Versicherer, die Allianz Lebensversicherung, aufgrund des ungültigen Passus verklagt. Nachdem die Angelegenheit bis vor den Bundesgerichtshof gezogen war, wurde sie von dort direkt an den Europäischen Gerichtshof weitergeleitet. Dieser entschied im Dezember des vergangenen Jahres, dass der benannte Paragraph tatsächlich gegen Europäisches Recht verstoße und Verträge deshalb auch nach Ablauf der einjährigen Frist für ungültig erklärt werden können (C-209/12).
Frist für Auflösung des Versicherungsvertrages möglicherweise knapp bemessen
Die Frage nach der nachträglichen Auflösbarkeit von Versicherungsverträgen zur Kapitallebens- und Rentenversicherung ist nach wie vor in der Schwebe, da die endgültige Entscheidung des Bundesgerichtshofes noch aussteht. Trotzdem raten Verbraucherschützer und Versicherungsexperten Versicherungsnehmern dazu, das endgültige Urteil nicht unbedingt abzuwarten, wenn sie im Falle eines positiven Urteils von ihrem Recht Gebrauch machen möchten. Da der Bundesgerichtshof schon einmal grundsätzlich die Zulässigkeit des Einspruches eingeräumt hat, als er den Fall an den Europäischen Gerichtshof weiterleitete, stehen die Chancen zwar sehr gut, dass auch die Entscheidung auf deutschem Rechtsgebiet zum Vorteil der Versicherer ausfallen wird, trotzdem ist davon auszugehen, dass der Bundesgerichtshof seine Entscheidung an eine eher knapp bemessene Frist für den Einspruch knüpfen wird, um langjährige finanzielle Schäden für die Versicherungsbranche zu vermeiden. Kunden sollten also schnell handeln, wenn sie mit dem Gedanken spielen, ihre Versicherung nachträglich abzustoßen. Die starke Kritik, der sich insbesondere die Kapitallebensversicherung in der letzten Zeit in den Medien ausgesetzt sieht, könnte durch dieses Urteil noch einmal neue Nahrung finden.
Kapitallebensversicherungen weiter in der Kritik
Über Jahrzehnte hinweg hatte die Kapitallebensversicherung ihren Siegeszug durch die deutschen Vorsorgepläne fortsetzen können. Der Glanz alter Zeiten scheint jedoch inzwischen verblasst zu sein, denn die Kapitallebensversicherung ist in den letzten Monaten zunehmend in die Kritik geraten.
Stein des Anstoßes ist vor allem der sinkende Garantiezins. Machte er die Kapitallebensversicherung bislang noch zu einer ertragreichen und dabei äußerst sicheren Anlagemethode, scheint er sich nun zu einem regelrechten Hemmschuh zu entwickeln. Eine Senkung des Referenzzinssatzes von 1,75 Prozent auf 1,25 Prozent hat die Aktuarvereinigung dem Deutschen Rechnungshof empfohlen und die Kapitallebensversicherung als kapitalbildende Maßnahme einmal mehr rigoros ausgebremst. Auch wenn Bestandskunden derzeit nicht vom sinkenden Garantiezins betroffen sind, könnte das enorm verbraucherfreundliche Urteil des Europäischen Gerichtshofes Viele dazu bewegen, über die Kündigung ihrer Kapitallebensversicherung nachzudenken.
Für Versicherer könnte dies zu Schäden in Milliardenhöhe führen, wenn die neuesten Entwicklungen tatsächlich eine Klagewelle nach sich ziehen. Experten zufolge sollen über 100 Millionen Versicherungsverträge im Bereich Lebens- und Rentenversicherung noch den Passus enthalten, der laut neuestem Urteil gegen Europäisches Recht verstößt. Wie sich diese Entwicklungen auf die Stabilität des Versicherungsmarktes auswirken, bleibt abzuwarten.
Bild: commons.wikimedia.org © Zairon (CC BY-SA 3.0)