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Drosten schlägt Corona-Alarm für Herbst

Schon für September befürchtet Drosten »wieder sehr hohe Fallzahlen«. Auch die Hospitalisierungs- und Todeszahlen stiegen dann wohl wieder an. - Er hält nichts davon, sich im Sommer mutwillig mit dem Coronavirus zu infizieren.

 

Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Berliner Charité, warnt davor, sich im Sommer mutwillig mit dem Coronavirus zu infizieren. »Man sollte das weiterhin so gut es geht vermeiden, auch wegen des Risikos von Long Covid«, so Drosten im Gespräch mit dem SPIEGEL.

Auch epidemiologisch sei die Empfehlung zur Infektion, die derzeit auf Twitter die Runde macht, »totaler Nonsens«: »So viele Menschen können sich im Sommer gar nicht infizieren, dass das im Winter die Coronazahlen niedrig halten würde.«

Schon für September befürchtet Drosten »wieder sehr hohe Fallzahlen«. Auch die Hospitalisierungs- und Todeszahlen stiegen dann wohl wieder an. »Wenn die Entscheidungsträger nichts tun, wird es sehr viele krankheitsbedingte Ausfälle am Arbeitsplatz geben. Das wird ein echtes Problem werden«, befürchtet Drosten.

Zu überfüllten Intensivstationen werde es zwar voraussichtlich nicht mehr kommen. Doch die neue Subvariante BA.5, die gerade in Deutschland dominant wird, befalle möglicherweise wieder stärker die tieferen Atemwege. »Das Rad dreht sich wieder mehr in Richtung Krankheit«, so Drosten. Es stimme nicht, dass ein Virus im Laufe der Evolution automatisch immer harmloser werde. »Das macht meine Sorge vor dem Herbst nochmal größer.«

Er habe sich in der Pandemie öffentlich engagiert, da er fand, dass er so als Wissenschaftler »am meisten für die Gesellschaft tun« könne, sagt Drosten im SPIEGEL-Gespräch. Wenn er aber »gewusst hätte, wie viel negatives Feedback da von einer sehr lauten Minderheit zurückkommen würde, wie von bestimmten Kreisen systematisch versucht werden würde, die öffentliche und politische Meinung in eine bestimmte Richtung zu drehen, dann hätte ich das nicht gemacht. Das hat mich wirklich schockiert«, so Drosten.

»Wirklich perplex« mache ihn, dass er manchmal das Gefühl habe, »dass diejenigen in der lauten Minderheit, die alles umdeuten und verdrehen, einfach den längeren Atem haben – vielleicht auch, weil sie sich den lieben, langen Tag offenbar nur damit beschäftigen und nichts Besseres zu tun haben«. Während er und viele andere Wissenschaftler jetzt langsam nicht mehr könnten und dringend in den Normalbetrieb zurück müssten und auch wollten, »verstummen diese Leute einfach nicht, sie bekommen immer wieder eine Bühne. Das finde ich sehr besorgniserregend«, so Drosten im SPIEGEL-Gespräch.

Es sei »falsch« gewesen, seinen Posten in dem von Bundesregierung und Bundestag eingesetzten Sachverständigenausschuss zu räumen, der unter anderem prüfen soll, wie viel bestimmte Coronaschutzmaßnahmen gebracht haben. »Vielleicht hätte ich robuster sein müssen und sagen: Ich weiß ja, dass ich nicht befangen bin, ist doch egal, was einige Zeitungen schreiben – lass sie schreiben«, sagt Drosten im SPIEGEL-Gespräch.

Externe Hilfe, die der »politisch und nicht nach wissenschaftlichen Kriterien« zusammengesetzte Sachverständigenausschuss dringend gebraucht hätte, sei nicht gewährt worden, »weil nur persönlich Berufene mitarbeiten könnten«, wie Drosten gesagt worden war. Somit sei die Aufgabe »nicht zu schaffen« gewesen – dies war laut Drosten »einer der Hauptgründe« für seinen Rückzug aus dem Gremium. Dass jetzt auch bekannt geworden sei, dass an dem Bericht der Kommission »nicht namentlich bekannte Ghostwriter mitgewirkt haben, ist für mich persönlich inakzeptabel«, so Drosten. »Und dadurch, das muss ich sagen, ist für mich als Bürger und als Wissenschaftler die Arbeit dieser Kommission angreifbar.«

Er selbst empfiehlt für den Winter Maskentragen in Innenräumen, das sei »am wenigsten schmerzhaft«. Wenn man es, etwa durch den eindringlichen Aufruf zu betrieblichen Impfungen, zudem vor dem Winter schaffe, noch einmal »bis zu 40 Millionen Menschen zu immunisieren oder mit einer Auffrischungsimpfung zu versorgen«, würde das »wirklich etwas verändern«, so Drosten.

Langfristig sei es unvermeidbar, sich anzustecken. Nach und nach bilde sich dann ein schleimhautspezifischer Schutz, der die Bevölkerungsimmunität insgesamt belastbarer mache. Auf der anderen Seite entwickele sich auch das Virus weiter und weiche der Immunantwort immer besser aus. Er gehe davon aus, dass sich irgendwann ein neues Gleichgewicht einpendele: Die Bevölkerungsimmunität durch Impfungen und Infektionen werde irgendwann so stark sein, dass das Virus an Bedeutung verliere. »Dann sind wir im endemischen Zustand«, so Drosten. Schlimmstenfalls könne dies aber »noch einige Winter« dauern.
Drosten selbst hat sich bisher nicht mit Sars-Cov-2 infiziert: »Bislang hatte ich wohl einfach Glück. Ich begebe mich zwar nur selten in riskante Situationen, aber ich bin auch nicht übermäßig vorsichtig.«

 

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