Am Montag also fliegt Selenski nach Washington. Dort muss er mit Trump mit Blick auf einen belastbaren Vertrag verhandeln. Seit dem Gipfel von Anchorage steht Trumps Forderung im Raum: „Make the deal“ (schließ einen Vertrag).
Von Meinrad Müller
Alaska brachte Bewegung ins Spiel
Drei Stunden saßen Trump und Putin in Anchorage zusammen, danach traten sie kurz vor die Presse. Trump erklärte später bei Fox News, man habe „very good progress“, einen guten Fortschritt, erzielt. Unterschrieben wurde nichts, doch der Ton veränderte sich hörbar, und Trump bewertete das Treffen mit zehn von zehn Punkten, also einer glatten Eins, weil die Chemie stimmte und Eckpunkte erkennbar wurden. Er erzählte von Listen mit Gefangenen und Gefallenen, sprach von mehr als tausend Häftlingen, die freikommen sollen, und von Bildern, die die Härte des Krieges ohne jedes Pathos belegen. Zugleich kündigte er an, beim nächsten Gipfel selbst mit am Tisch zu sitzen, Seite an Seite mit Putin und Selenski.
Der Ball im Spielfeld Selenskys
Jetzt liegt der Ball im Spielfeld Selenskys, und das ist mehr als ein Sportbild, denn es beschreibt den Übergang von der großen Bühne zur Entscheidungslinie. Trump fordert „Make the deal“, schließ einen Vertrag, nicht erst eine Feuerpause, die nur Luft holt, sondern ein Abkommen, das das Töten beendet. Er untermauert das mit der Zahl von siebentausend Gefallenen pro Woche, Soldaten auf beiden Seiten, dazu Zivilisten in Städten mit Rüstungszielen. Am Montag wird Selenski in Washington am Tisch sitzen, und dort entscheidet sich, ob Kiew diese Steilvorlage annimmt. Jeder weitere Monat schwächt die Verhandlungsposition.
Die EU-Könige am Gartenzaun
Europa kommentiert, telefoniert, formuliert und wirkt dabei wie ein Chor hinter dem Zaun, die EU-Könige stehen wie Gartenzwerge, unbeweglich, festgemauert in der Erden, um mit Schiller zu sprechen. Man versichert Kiew die Einbindung, betont Souveränität und Sicherheitsgarantien und hofft darauf, dass Moskau kein Vetorecht über die Zukunft der Ukraine erhält. Doch die Taktvorgabe entsteht derzeit nicht in Brüssel, sondern in Washington. Die Bilder aus Alaska zeigten zwei Präsidenten auf Augenhöhe. Die EU war nicht eingeladen. Europas Worte haben keine Hebelwirkung mehr.
Trumps Friedensbotschaft
Trump inszeniert sich bewusst als Friedensstifter und knüpft das an eine nüchterne Logik, die seine Anhänger als Stärke lesen und seine Gegner als Druckmittel benennen: erst Härte, dann Tür öffnen, „Make the deal“, schließ einen Vertrag, und zwar jetzt. Er verweist darauf, dass Kriege enden, wenn die politischen Kosten höher werden als die militärischen Hoffnungen. Direkte Gespräche zwischen den größten Atommächten sind ein Sicherheitsgewinn, auch wenn keine Unterschrift unter Papier steht. Die Bilder der Handschläge mit Trump und Putin gingen um die Welt. Der Schritt vom Handschlag zum Vertrag ist kürzer, wenn die Beteiligten sich bereits ins Gesicht gesehen haben.
Im Hintergrund bleibt womöglich auch die amerikanische Zwangslage spürbar, die aus Jahren der NATO-Osterweiterung, der Unterstützung der Kiewer Revolution und dem seit 2014 andauernden Krieg im Osten resultiert. Die Ukraine bekämpfte bis 2020 ihre Ostprovinzen, mit 8000 Toten.
Gerade deshalb passt es ins Bild, dass Washington jetzt auf einen Vertrag drängt, der die Eskalationsspirale anhält und die politische Handlungsfähigkeit zurückbringt, denn ein Frieden, der hält, wäre mehr als ein symbolischer Punktgewinn, er wäre der erste echte Taktwechsel seit Jahren.
So steht es an diesem Nachmittag: Alaska hat die Rollen verteilt, Washington wird sie ausfüllen. Selenski reist an und muss entscheiden, ob er den Ball annimmt und flach in die Schnittstelle spielt oder ob er ihn wieder an den Zaun prallen lässt, an dem die Gartenzwerge nicken, während anderswo Geschichte geschrieben wird.



