US-Handelskrieg: Wirklich vom Tisch ist der Konflikt nicht. Die 90 Tage wirken eher wie eine politische Beruhigungspille, in Washington genauso wie in Peking. Ein echter Durchbruch sieht anders aus.
Von Meinrad Müller
Die Weltwirtschaft jubelt. Vorerst. Denn was auf den ersten Blick nach Entspannung aussieht, ist bei näherem Hinsehen nichts anderes als eine Atempause mit eingebautem Verfallsdatum. Nach Gesprächen in Genf haben sich die USA und China auf eine deutliche Senkung ihrer Strafzölle geeinigt. Doch der Deal gilt nur für 90 Tage. Was danach kommt, weiß niemand.
Zölle bleiben. Nur eben niedriger.
Die Zahlen klingen erst einmal beruhigend: Die USA senken ihre Zölle auf chinesische Waren von 145 auf 30 Prozent. China reduziert im Gegenzug seine Zölle auf US-Produkte von 125 auf 10 Prozent. Klingt nach Fortschritt, ist es aber nicht. Denn mit 30 Prozent bleibt der Zugang zum US-Markt weiterhin teuer. Und auch Chinas zehn Prozent sind kein Zeichen von Freihandel, sondern Ausdruck strategischer Abwehrhaltung.
Beide Seiten geben sich offenbar kompromissbereit. Aber wirklich vom Tisch ist der Konflikt nicht. Die 90 Tage wirken eher wie ein politisches Beruhigungsmittel, in Washington genauso wie in Peking. Ein echter Durchbruch sieht anders aus. Die Märkte werden weiterhin in Spannung gehalten.
Die Börsen feiern. Doch der Boden bleibt wackelig.
Die Finanzmärkte reagierten mit Erleichterung. Der DAX legte zu, der Goldpreis fiel. Investoren schöpfen Hoffnung. Doch nicht, weil das Problem gelöst wäre, sondern weil es sich vorerst beruhigt hat. Die Zölle sind nicht weg. Sie sind nur etwas weicher verpackt. Die Unsicherheit bleibt. Für Unternehmen, für Lieferketten, für Verbraucher.
Was passiert nach Tag 90?
Das ist die alles entscheidende Frage. Bleiben die reduzierten Zölle bestehen? Oder wird nach Ablauf der Frist wieder aufgedreht? Schon jetzt lassen sich beide Seiten alle Optionen offen. Die Amerikaner sprechen von Fortschritten, die China liefern müsse. Die Chinesen verlangen Respekt auf Augenhöhe. Übersetzt heißt das: Nichts ist sicher. Und alles kann jederzeit kippen. Es bleibt spannend, die Unsicherheit bleibt. Die Waren für
das Weihnachtsgeschäft müssen jetzt produziert und verschifft werden. Was, wenn nicht?
Es gibt keine Garantie, dass dieser Waffenstillstand hält. Es ist kein Handelsfrieden, sondern ein diplomatischer Notnagel. Das Theater kann jederzeit wieder losgehen. Weltpoltische Daumenschrauben gibt es genug.
Chance oder Täuschung?
Die jetzige Einigung bringt etwas Luft. Für die Märkte, für die Exporteure, für die politische Kommunikation. Aber sie ist kein Durchbruch. Die Zölle bleiben. Nur eben etwas niedriger. Das Problem ist nicht gelöst, es ist lediglich vertagt. Ob aus den 90 Tagen ein stabiler Neuanfang entsteht oder nur eine kurze Verschnaufpause vor dem nächsten Handelsgewitter, das steht in den Sternen. Sicher ist nur eines: Wer jetzt denkt, der Konflikt sei vorbei, hat den Charakter der beiden schwergewichtigen Akteure unterschätzt.