Die plötzliche Freilassung Chodorkowskijs und das Engagement Deutschlands in diesem Fall bleibt mysteriös. Was wurde hinter den Kulissen gedealt? Wieso setzte sich ausgerechnet der ehemalige Außenminister Genscher dafür ein? Genscher traf Putin bei Geheimtreffen in Berlin und Moskau. - Piloten konnten ohne Visum nach Russland fliegen.
Der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher hat die Freilassung des Kreml-Kritikers und Ex-Oligarchen Michail Chodorkowskij in zwei Geheimtreffen mit Präsident Putin vorbereitet. Das berichtet die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ (F.A.S.). Genscher traf nach Recherchen der F.A.S. Putin zu einem persönlichen Gespräch im Juni 2012 in Berlin auf dem Flughafen Tegel. Putin hatte damals nach seiner Wiederwahl einen Antrittsbesuch in Deutschland gemacht. Das Treffen fand unbemerkt von der Öffentlichkeit statt.
Obwohl Putin sich damals nur unbestimmt zu den Chancen einer Freilassung Chodorkowskijs äußerte, setzte Genscher seine Bemühungen fort. Das Kanzleramt und der Botschafter in Moskau, Ulrich Brandenburg, sorgten dafür, dass Genschers Vorschläge bei Putin ankamen. Anfang des Jahres traf Genscher Putin in der Angelegenheit ein zweites Mal in Moskau. Vor etwa zwei Monaten erwartete er bereits, dass Chodorkowskij freikommen könnte. Genscher fragte damals den mit ihm befreundeten Unternehmer Ulrich Bettermann, ob jener mit einem seiner Privat-Jets Chodorkowskij in Russland abholen könne, wenn es zu einer Freilassung komme.
Nach Recherchen der F.A.S. hatte Putins Präsidialbüro am Freitag nach einer Bitte Genschers entschieden, dass Bettermanns Piloten ohne Visum nach Russland fliegen konnten.
Steinmeier begrüßt Freilassung Chodorkowskijs
Die Freilassung des Kreml-Kritiker Michail Chodorkowskij aus zehnjähriger Lagerhaft ist am Wochenende von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) begrüßt worden. „Ich freue mich, dass Michail Chodorkowskij in Freiheit in Deutschland ist. Allen, die daran Anteil hatten, gebührt mein Dank“, sagte Steinmeier der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (F.A.S.). Auch andere Politiker zeigten sich über die Freiheit für Chodorkowskij erfreut, äußerten sich aber skeptisch, ob die Begnadigung durch Präsident Wladimir Putin einen Kurswechsel in der russischen Politik darstelle.
Der CDU-Abgeordnete Andreas Schockenhoff sagte, eine Begnadigung könne rechtsstaatliche Verfahren nicht ersetzen. Die Prozesse gegen Chodorkowskij 2005 und 2010 hätten rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprochen. „Es gibt zahlreiche weitere Fälle politischer Justiz in Russland. Wir hoffen, dass es hier eine Veränderung gibt“, sagte Schockenhoff der F.A.S. Die Grünen–Politikerin Marieluise Beck sagte: „Bei aller Freude ist das Schwierige an einem Gnadengesuch, dass derjenige, der eine Geisel genommen hat, jetzt den Dank für die Großzügigkeit der Freilassung bekommt.“ Das hinterlasse einen bitteren Nachgeschmack.
Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich sagte, falls die Freilassung Chodorkowskijs eine Chance biete, die Beziehungen der EU zu Russland zu verbessern, dann sollte man sie nutzen. Russland habe große wirtschaftliche Probleme und sei auf Zusammenarbeit angewiesen. Der Abgeordnete Gernot Erler (SPD) sagte: „Ich glaube nicht, dass die Freilassung Chodorkowskijs der Beginn einer geplanten Liberalisierung in Russland ist.“ Es gehe Putin um den Image-Gewinn vor den Olympischen Spielen in Sotschi. Stefan Liebich, Außenpolitiker der Linkspartei, sagte, er freue sich über die Freilassung. „Man hat allerdings den Eindruck, dass der Staatschef entscheidet, wer ins Gefängnis kommt und wer freikommt“, sagte Liebich der F.A.S.