Ökonom: Karlsruher Urteil über EZB-Geldpolitik ist auch Entscheidung über Euro-Verbleib Deutschlands. - Größere Sprengkraft für EU als Brexit.“ „Es entscheidet schlicht darüber, ob Deutschland weiterhin noch ein vollwertiges Mitglied des Euro-Raums sein wird, oder ob der Abschied Deutschlands vom Euro beginnt."
Nach Einschätzung führender Ökonomen in Deutschland wird das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur umstrittenen Rettungspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), dem sogenannte OMT-Programm, von wegweisender Bedeutung sein. „Es entscheidet schlicht darüber, ob Deutschland weiterhin noch ein vollwertiges Mitglied des Euro-Raums sein wird, oder ob der Abschied Deutschlands vom Euro beginnt, was ja auch das eigentliche Ziel der Kläger ist“, sagte der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, dem Handelsblatt.
Horn wies darauf hin, dass zu den Kernaufgaben einer Geldpolitik gehöre, in Notsituationen mit ihren unbegrenzten Mitteln an heimischer Währung die Stabilität des eigenen Währungsraum zu sichern. Das sei in allen größeren Industrieländern so. Werde aber der Bundesbank durch das Karlsruher Urteil untersagt, sich hieran zu beteiligen, sei einer Notlagenpolitik zumindest für Deutschland das Fundament entzogen. „Deutschland müsste über kurz oder lang den Euro-Raum verlassen“, sagte Horn. Das jedoch, warnte der IMK-Chef, „wäre ein Triumph für all jene, die eine Renationalisierung der Politik anstreben, mit unübersehbaren wirtschaftlichen Schäden für Deutschland und Europa“.
Für den Freiburger Ökonom und Wirtschaftsweise Lars Feld birgt schon die Frage, ob nun der Europäische Gerichtshof (EuGH) oder das Bundesverfassungsgericht für das OMT-Thema zuständig ist, ein enormes Risiko. Würde Karlsruhe das Anleiheaufkauf-Programm als verfassungswidrig einstufen, träte es in einen „offenen Konflikt“ mit dem EuGH. „Es wäre dann unklar, ob europäisches Recht über nationalem Recht steht“, sagte Feld dem Handelsblatt. „Die EU hätte zu allem sonstigen Unbill eine institutionelle Krise, die viel größere Sprengkraft für die EU hätte als ein Brexit.“
Der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, sieht das Bundesverfassungsgericht in einem „Dilemma“ gefangen. In seiner Vorlage an den EuGH habe das Gericht klar gesagt, dass das OMT-Programm in seiner jetzigen Form mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei. „Da der EuGH der EZB eine Art Blankovollmacht ausgestellt hat, nach der die EZB selbst bestimmen kann, wo die Grenzen der Geldpolitik sind, kann das Gericht einen Konflikt mit dem EuGH kaum vermeiden, ohne seine eigene Position zu revidieren“, sagte Fuest dem Handelsblatt. Das könnte für die Euro-Zone negative Konsequenzen nach sich ziehen. „Bei einer deutlichen Entscheidung gegen OMT könnte es Turbulenzen geben“, sagte Fuest.