Ist arm im Geiste zu sein, das heißt dumm zu sein, die Vorbedingung für einen künftigen Anteil am Himmelreich? Folglich ist der Dumme, auch jener, der gewalttätig agiert, ein potenzieller Erbe eines Anteils eines Reiches, das er nachtodlich besitzen würde.
Von Meinrad Müller
Reduzierte Selbstreflexion, Dummheit, mag auch zu gewalttätigen Handlungen führen, wie jenen kürzlich in Gießen, die anders nicht erklärlich sind. Die Hoffnung, dass Armut im Geiste als mildernder Umstand mit angeführt wird, wenn die irdische Strafzumessung ansteht, liegt nahe. Zeiten in staatlichem Gewahrsam geben hinreichend Gelegenheit zur Selbstreflexion. Das Versprechen, einen Anteil am Himmelreich zu ergattern, wie süße Früchte am hohen Baume, mag zum Innehalten führen und den nachfolgenden Gedankengang nachvollziehbarer werden lassen.
Das Dumme daran ist, dass obiger Erbanspruch nicht grundbuchlich abgesichert ist. Er stellt nach irdischen Maßstäben keine dingliche Sicherheit dar, wenn er einen Kredit für ein Auto oder ein Haus haben möchte. Insofern nützt im Diesseits die momentan vorherrschende Geistesarmut nicht unmittelbar weiter. Die Früchte fallen erst in einem künftigen Reich in den Schoß. Das mag tröstlich sein, hilft aber beim Einkauf irdischer Güter nicht. Man kann nichts anschreiben lassen mit dem Hinweis, dass einem später etwas zufiele, das die gegenwärtige Schuld aufwöge.
In Aussicht stehende Erbschaften diesseits, sofern notariell beurkundet, versetzen den Erben, auch wenn er derzeit so arm ist wie eine Kirchenmaus, ob geistig oder materiell, in einen besonderen Status. Er wird beliefert, weil der Lieferant sicher sein kann, bald sein Geld zu bekommen, mit Zinsen und Zinseszinsen.
Betrachten wir den Anteil am Himmelreich genauer, der dem Geistesarmen versprochen wird, der leider immaterieller Natur ist, ergibt sich ein weiteres, noch interessanteres Feld.
Der so in Hoffnung Gewogene, der dank seines reduzierten Gedankenvermögens die Abwesenheit seiner Geisteskraft nicht realisiert und sie auch nicht als Mangel empfindet, wiegt sich in einer beruhigenden Zuversicht. Denn die Zusage eines erheblichen Zugewinns wiegt schwer, sobald er der körperlichen Existenz verlustig geht.
Daraus folgt, dass er die materiell arme Phase, herbeigeführt durch reduzierte Denkfähigkeit, mehr als kompensiert. Die Gewissheit, dass ihm ein Anteil, auch wenn keine Quadratmeterzahl genannt wird, am Himmelreich zustünde, ist eine quasi spirituell verbriefte Sicherheit.
Gestützt auf diese Zusage erwächst ihm ein unerschütterliches Gefühl des Wohlbefindens, das keine Verlustangst kennt, wie jeder sie spürt, der etwas Materielles verliert, und wäre es nur eine goldene Uhr.
„Denn ihrer ist das Himmelreich“, ist nicht nur bloßer Trost. Es übertrifft alle irdischen Besitztümer bei weitem und verschafft eine permanente Geistesstimmung von Glückseligkeit. Hingegen ist irdische Glückseligkeit selbst zu etablieren weit anstrengender und begleitet von der ständigen Angst, sie zu verlieren.
Armut im Geiste ist häufig kaum zu bemerken, solange der Betroffene schweigt. Doch sobald er sich geistig reduziert in Sprechchören äußert oder, wie gestern in Gießen, mit Steinen wirft, zeigt sich sein Zustand deutlich. Dann erinnert uns ein weiteres Bibelwort daran, wie verlässlich solche Zeichen sind: An ihren Werken werden wir sie erkennen.
Meinrad Müllers Blog: www.info333.de/p



