„Gelobt sei was hart macht“ – Offene Replik an Norbert Knobloch und seinem Beitrag "Mündigkeit: Disziplin und Liebe."
von Rolf Ehlers
Lieber Herr Knobloch, nach langer Pause wieder mal ein echter Knobloch! (Beitrag: Mündigkeit: Disziplin und Liebe)
So sehr ich mich allerdings über den umfangreichen Versuch des Aufstiegs in spirituelle Höhen oder des Abstiegs in die geheimnisvollen Tiefen der Erkenntnis gefreut habe, die schon fast Ihr Markenzeichen sind, so hat mich die Lektüre dieses Beitrags Schritt für Schritt immer mehr ernüchtert. Letztlich ist zwar alles entscheidend das Ziel, dass der Mensch sich zu einer reifen selbstbestimmten Persönlichkeit entfalten möge. Da sind wir uns einig, auch mit Ihrer Bezugnahme auf den großen Ethiker Erich Fromm.
Aber sonst stimmt kaum etwas in Ihrem Beitrag. Der Weg zum Ziel, den Sie beschreiben, ist überholt und falsch. Die Quellen, auf die Sie sich stützen, sind mehr als fragwürdig.
Disziplin soll über Anstrengung, Mühe, Schweiß und Qual zur Mündigkeit führen? Das ist eine antiquierte Vorstellung, die zuletzt im Dritten Reich noch einmal eine letzte Blüte hatte: „Gelobt sei was hart macht!“ und „Was uns nicht umbringt, macht uns gerade stark!“ Natürlich haben Sie mit den Faschisten nichts am Hut. Aber auch das masochistische „no pain, no gain“ der Bodybuilder ist offensichtlich nicht wirklich die wahre Quelle Ihrer Paradigmen.
Ihre Bezugnahmen sind andere, nämlich sämtlich Psychotherapeuten von Format oder auch ohne, zudem blinde Esoteriker. Sie selbst nennen Carl Gustav Jung, Scott M. Peck, Sarvepalli Radekrishnan und Thorwald Dethelfsen. Unausgesprochen sind Sie damit bei Wilhelm Reich, Oskar Rudolf Schlag und Ruediger Dahlke.
Ihr Ausgangspunkt klingt logisch, dass jemand, der nicht gefordert wird, sich nicht entwickeln wird. Aber Sie schreiben selbst, dass das Leben aus einer unendlichen Reihe von Problemen bestünde, die natürlich gelöst werden müssen, wenn wir daran nicht zerbrechen wollen. Dann aber folgt die erste fatale falsche Unterstellung, dass „sich Problemen zu stellen und sie zu lösen, unbequem, unangenehm, ja schmerzhaft“ sei. Der zweite Fehlschluss ist der, dass die absolut Mehrheit der Menschen den Fehler mache, zu versuchen, den Problemen auszuweichen. Denn, wieder falsch, das Leben bekäme erst durch diese Probleme bzw. die Mühe ihrer Lösung seinen Sinn. Nicht nur „die größten Philosophen der Menschheits-Geschichte“ waren und sind Problem- (und System-) Denker. Sie, Herr Knobloch und ich und sogar alle Menschen, die durch ihre Ausbildung oder durch das Leben auf die vielen Fragen der Welt gestoßen worden sind, entwickeln eine Freude daran, Probleme aufzustöbern und Lösungen für sie zu finden. Auf der anderen Seite wären wir doch reichlich blöde, uns von Problemen, denen wir durch kluge Meidbewegung entgehen können, einfach erschlagen zu lassen. Es kommt eben immer darauf an, wie die Juristen sagen.
Ihre Folgerung, vom Problem über den Schmerz zur Disziplin, der Lösung des Problems und der Reifung des selbstbestimmten Menschen zu gelangen, ist durch die neuere Hirnforschung vollends widerlegt. Entspanntes Lernen und Arbeiten geht Hand in Hand mit Begeisterungsfähigkeit und resultiert in Kreativität. Gerade haben Im ZDF-Interview der Philosoph Richard David Precht und der Hirnforscher Professor Dr. Gerald Hüther eine so große Übereinstimmung in dieser Frage demonstriert, dass es insbesondere dem neokonservativen Spiegel schon zuviel war (www.spiegel.de).
Dass Kampf, Schmerz, Disziplin und Selbstkasteiung der Schlüssel zur Pesönlichkeitswerdung seien, ist aber nach allgemeiner Meinung nicht mehr vertretbar. Hüthers und andere Forschungen haben gezeigt, dass Menschen, die sich mit hoher Anspannung auf die Bewältigung von Problemen verlegen, zwar sehr konzentriert vorgehen können, aber so fokussiert sind, dass sie Dinge, die nicht unmittelbar ihrer Aufmerksamkeit unterliegen, nicht in die Problemlösung einbeziehen können. Im MRT kann man klar erkennen, dass bei ihnen nur einige Kernareale des Gehirns arbeiten, während bei der Begegnung mit den Problemen in entspannter Situation in vielen Bereichen des Gehirns wahre Leuchtfeuer angehen. Die Hirnforschung geht davon aus, dass die Entspannung die Voraussetzung für die Kreativität des menschlichen Geistes ist. Eigentlich wissen wir das doch alle längst, dass uns unter Druck oft gar nichts einfällt, während uns in Ruhe plötzlich die besten Gedanken kommen (Heureka-Prinzip). Sie schreiben dagegen recht sibyllinisch, dass die Meditation nur mit einem „Meister“ stattfinden solle, weil sie bekanntlich (?) so gefährlich sei.
Disziplin ist also nicht der Königsweg zur Mündigkeit. Aber wie ist es mit der Liebe? Ist das wirklich mehr als ein Wort? Ihre Bezugnahme auf die Liebe kann man nur verstehen, wenn man Ihre Quellen bedenkt. Es fängt an mit Wilhelm Reich, der in seiner eigenwilligen Orgonomie die Liebe zum Wahren Selbst in sein 4-Schichten-Persönlichkeitsmodell stellte. Dieses Modell übernahm der von Ihnen hoch geschätzte amerikanische Psychiater Scott M. Peck in seiner Lehre der Prozesse der Gemeinschaftsbildung, die ein paar Jahre lang in der Unternehmensberatung „in“ war, heute aber vergessen ist. Nach Scott ist Gott im Unbewussten, wo das Selbst und die Liebe sind. Die Übertragung falscher Bilder sei daher eine pathologische Störung der Seele, diese der Grund für viele psychische Erkrankungen. Dass Carl Gustav Jung meinte, dass „die Neurose immer[!] ein Ersatz für legitimes [!] Leiden“ sei, kommt aus demselben geistigen Umfeld. Dieses führt nämlich von Jung über das Medium Oskar Rudolf Schlag, mit dem auch dieser arbeitete, zu dem unsäglichen verstorbenen Astrologen und Sektierer Thorwald Dethlefsen („Kawwana-Kirche des Neuen Aeon“) und zu seinem von ihm äußerlich abgefallenen Schüler Ruediger Dahlke.
Mit wahrer Liebe hat diese ganze Richtung absolut nichts zu tun. Es ist ja auch nur von der Selbst-Liebe die Rede und allenfalls davon, dass es ohne sie auch keine Liebe zu Anderen gäbe (wieso eigentlich?). Kern der Lehre ist vielmehr, dass die Sünde weniger eine Herausforderung Gottes sei als ein Verrat gegen sich selbst (Radekrishnan). Das Motto heißt „selber schuld“, was von wenigen Erwählten abgesehen die große Masse trifft, die –wie Sie endlos wiederholen - unreif, dumm, infantil, willensschwach, feige, träge, faul, verantwortungslos und daher unfrei ist. Die Menschen werden in ihrer großen Zahl daher „immer Opfer der Mächtigen und Herrschenden sein, weil sie den Herrschenden Macht geben und den Mündigen Macht nehmen.“ Am unverschuldeten Unglück der Mündigen, fremdbestimmt zu sein, haben die selbstverschuldet Unmündigen daher auch noch schuld! Wenigstens kriegen die Unmündigen regelmäßig „ihr Fett weg“. Denn nach der übereinstimmenden Meinung aller Phantasten aus diesem gedanklichen Umfeld bekommt jeder Mensch die Krankheiten, die er sich selbst verdient hat. Diese in meinen Augen inhumane wahrlich entlegene Auffassung ist die Konsequenz aus der blinden Übernahme hinduistischer und buddhistischer Glaubenslehren von der Reinkarnation, der ewigen Wiederkehr der Seelen (Samsara) und ihrer Beladung mit Schuld und Sünde (Karma), wofür auch in späteren Leben gebüßt werden müsse, wenn die Abrechnung im aktuellen Leben nicht stattgefunden hätte. Auch bei uns glauben nicht wenige Menschen- nach Statistiken zwischen 10 – 30 % - an solche Wiedergeburt. Kaum aber einer denkt daran, wie unrealistisch die Konsequenzen aus dieser Annahme sind. Man soll sich sogar vorstellen, dass die ungezählt vielen Leben, die jede Seele bis zum Vergehen im Nirwana verbringt, nicht zeitlich nacheinander ablaufen, sondern parallel nebeneinander! Und wie ist es eigentlich, bleibt man in allen seinen Leben ein Mensch oder kann man auch mal eine Ameise oder gar eine Bakterie sein?
Dass wir nicht in einer wirklich freien Welt leben, liegt gewiss daran, dass wir Menschen uns in der großen Masse zu leicht fremdbestimmen lassen. Es ist aber falsch und auch nicht fair, die Menschen, die nicht mündig genug sind, zu beschimpfen und ihnen die Schuld an der Misere zuzuschieben. Wer sieht, dass die Dinge falsch laufen, sollte dagegen tun, was ihm möglich ist und sollte dazu beitragen, dass die, die die Zusammenhänge nicht erkennen, dies zu verstehen lernen. Wer aber den beschimpft, den er belehren will, liegt falsch.
Ein letzter Gedanke noch: Einfach gedanklich davon auszugehen, dass im Kern unseres menschlichen Wesens die Liebe und Gott persönlich ihren Ort hätten, ist ganz schön großartig! Wir wissen heute, wie die erfahrbare Welt mit einem Urknall begann und im Universum unendliche Massen entstehen und vergehen, während wir auf der Oberfläche eines kleinen Planeten am Rande einer kleinen von Billionen von Galaxien leben, der immer wieder von kosmischen Katastrophen heimgesucht und mit Sicherheit in absehbarer Zeit ganz vergehen wird. Wir haben nicht die geringste Ahnung, was Materie und Energie in ihrem Wesen sind. Noch weniger können wir sagen, was denn ein Gedanke oder eine Idee sind. Und da faseln wir davon, dass wir die Krone der Schöpfung sind und Gott, von dem wir nun absolut und gar nichts wissen, in unserer unsterblichen Seele wohnt? Stellen Sie sich einmal vor, Gott gäbe es wirklich so wie angenommen, was ja niemand verifizieren oder falsifizieren kann, würde er uns nicht für Blasphemiker halten, wenn wir ihm seinen Platz zuordnen?
