Der Philosoph Jürgen Habermas hält es für ein Gebot der Demokratie, dass der Spitzenkandidat Juncker neuer EU-Kommissionspräsident wird. Gegner von Juncker, wie Großbritannien, müssten notfalls aus der EU austreten.
Fakt sei, dass es „einem Wahlbetrug gleich käme, wenn keiner der beiden Spitzenkandidaten Juncker oder (Martin) Schulz von den Regierungschefs dem EU Parlament zur Wahl vorgeschlagen würde“, sagte Stegner. Kanzlerin Angela Merkel dürfe sich daher nicht am britischen Premier David Cameron oder dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán orientieren, sondern es müsse gelten, was im Wahlkampf versprochen worden sei. „Allerdi! ngs hat die sozialistische Fraktion im EU Parlament alle Möglichkeiten, etwaigen dritten Kandidaten die Zustimmung zu verweigern, so dass es keiner Austritts- oder Neugründungsdrohungen à la Habermas bedarf“, fügte Stegner hinzu. Im Übrigen komme den Briten kein Vetorecht zu. „Ich vermute, dass die Kanzlerin die EU nicht sehenden Auges in eine solche Krise stürzt.“
Wie Habermas ist auch der Grünen-Politiker Sarrazin der Ansicht, dass einer der Spitzenkandidaten der Europawahl Kommissionspräsident werden müsse. „Das Europäische Parlament interpretiert den Wahlausgang eindeutig: Juncker soll es werden. Wer soll das besser wissen, als die gewählten Abgeordneten“, sagte Sarrazin. Nach den EU-Verträgen solle der EU-Rat der Staats- und Regierungschefs das Ergebnis der Wahlen berücksichtigen. Die einzig legitime Folge sei daher, Juncker zu benennen. „Aus der EU austreten muss deswegen aber niemand, auch kein Mitgliedsstaat der gegen ! Juncker sein sollte“, fügte Sarrazin hinzu. „Falls keine Einigkeit erzielt werden kann, muss die Mehrheit im Rat diese Abweichler überstimmen.“ Laut EU-Vertrag reicht für den Vorschlag des Rates an das europäische Parlament eine qualifizierte Mehrheit aus.
Habermas hatte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ darauf hingewiesen, dass nur derjenige der beiden Spitzenkandidaten für die EU-Kommissionsspitze vorgeschlagen werden dürfe, der Aussicht habe, eine Mehrheit der parlamentarischen Stimmen auf sich zu vereinigen. „Sollte einer der Regierungschefs gegen dieses Demokratiegebot, das sich aus Wortlaut und Geist der Verträge ergibt, auf seinem Vetorecht bestehen, müssten ihm die übrigen Mitglieder des Europäischen Rates den Austritt seines Landes aus der Europäischen Union nahelegen. Sonst würden sie ihren eigenen Ruf als Demokraten aufs Spiel setzen und ihre politische Pflicht als Amtsinhaber einer verfassungsrechtlichen Demokratiegeboten unterworfenen Europäischen Union verletzen.“ Im äußersten Fall eines unlösbar zugespitzten Konflikts bliebe aus Sicht von Habermas noch die Möglichkeit einer Neugründung der Europäischen Union in ihren bisherigen Institutionen.
Auch der Chef der Alternative für Deutschland (AfD), Bernd Lucke, widersprach Habermas: „Das Gegenteil ist der Fall: Das Demokratiegebot bedeutet, dass das Parlament seinen Kandidaten frei bestimmen darf“, sagte Lucke Handelsblatt Online. „Ich persönlich kann mir durchaus einen besseren Kandidaten als Herrn Juncker vorstellen.“